Tappa 9: nach Patti

Vielleicht ist es das Rauschen des Meeres, vielleicht der seichte, salzige Wind, der durch die Vorhänge meines Hotelzimmers zieht - jedenfalls schlafe ich wie ein Gott. Perfekt - entspannt, erholsam. Keine Abstriche, kein Minus, es ist, als bin ich im Himmel.

Cefalú - Traumstadt!

Zum ersten mal in diesem Urlaub erlebe ich die perfekte Nacht. Wunschlos. Glücklich. Sorgen um die nächste Etappe mache ich mir keine, ich schlafe gerade so, als hätten die Erzengel persönlich über meinen Schlaf gewacht.

Das Frühstück auf der Terrasse lasse ich mir schmecken, genieße perfekten Kaffee, warme Croissants, Obstsalat, Wurst, Käse, Marmelade - so gestärkt dürfte heute eigentlich nur eines passieren: Nicht mehr und nicht weniger als die perfekte Etappe!

Und ich werde - zumindest teilweise - Recht behalten. Denn nachdem ich gestern schon gestandene Tour de France-Profis überholen durfte, werde ich heute in ihre Stapfen treten. Und das wird spannend sein.

Und weh tun.

Aber fangen wir von vorn an ...

Direkt hinter Cefalú erwartet mich erstmal gleich ein Anstieg der Superlative. Zum Auftauen. Steil schraubt sich die Straße mit zweistelligem Gradienten um den Rocca herum, keine 500 Meter gefahren, den Magen noch voller Frühstücksleckereien, und schon eine handfeste Plackerei am Hals!

Der Wind weht frisch vom Meere her, leicht von hinten, was mich erfreut, denn jeder km/h, den ich geschenkt bekomme, wird meine Beine auf Dauer entlasten.

Was ich noch nicht weiß: Heute kommen die Steigungen, von denen sie in "Höllentour" immer erzählen: Erbarmungslos, hart, geradezu episch.

Ich folge weiterhin der SS 113, die sich hier an Siziliens Nordküste atemberaubend schön an der Küste entlang schlängelt. Es geht manchmal seichter, manchmal härter bergauf, dann, je nachdem, wie viel ich für die Höhenmeter gearbeitet habe, auch mal wieder mehr oder weniger flux bergab.

Mal mehr, mal weniger drohend marschieren dunkle, feuchte Regenwolken am Horizont auf, die Armee des Donners - ich hoffe, dass sie mich heute verschonen wird. Und sie wird.

Der Wind schiebt mich dermaßen hart an, dass auch heute im Flachen Geschwindigkeiten jenseits der 40 km/h kein Problem darstellen. Mir gefällts, denn dank des Rückenwindes kann ich aufdrehen ohne zu überdrehen.

Links neben mir brandet ein unfassbar türkises Meer wild an die felsige Küste. Gischt schäumt um das schwarze Geröll, das man das Gefühl hat, es koche das Mittelmeer unter einem.
Oftmals halte ich, halte den Atem und genieße den Blick, der hier niemals langweilig wird: Mal ist es die Sicht auf einen halsbrecherischen Felsen, mal ein Dorf, verlassen hoch oben und manchmal der Rest eines Forts, das hier schon seit Jahrhunderten den Fluten trotzen mag.

Ich schwitze so sehr, dass ich die Fische, die ich dann und wann im klaren Wasser erkennen kann, beneide - wie toll muss das sein, aus den schweißigen, heißen Radklamotten zu kommen und in diese erfrischende Wanne zu tauchen?

Doch lange bleibt mir nicht Zeit, mich ins Meer zu träumen: Der dampfende Asphalt und das heutige Etappenziel rufen. Dann trete ich mich wieder diese kurzen, giftigen Anstiege hinan, die aussehen, als endeten sie direkt in den Wolken.

Dann schalte ich röchelnd aufs größte Ritzel und kurbele mich mit 10, 12 km/h die Anstiege hinauf, ehe mir die kleinen Wellen auf der anderen Seite während der kurzen, bisweilen an der 60 kratzenden Abfahrten etwas Erholung und Abkühlung verschaffen.

Blicke ich zurück, schaue ich voller Stolz auf das bereits geschaffte: Da, da hinten, diese kleine Straße, die sich da so idyllisch scheinend, aber mitunter so brutal in den Felsen gehauen die Küste entlang schlängelt, da, das alles habe ich bereits erobert, geschafft, gewonnen!

Keine Badegäste am Strand. Kaum Autos auf der Straße, keine Menschenseele unterwegs: Sizilien, es gehört mir, dem einsamen Cervelo-Fahrer, der hier, um die heiße Mittagszeit den Osten der Insel zu erobern aufgebrochen ist.

Allein? Wohl kaum, denn wenn ich meinen Kopf nach rechts, ins Landesinnere wende, ihn etwas hebe, erkenne ich den Grund für meine ruhigen Kilometer auf der Super Strada - die E 90, eine nagelneue Autobahn, die sie hier in luftiger Höhe auf zuweilen bizarr anmutenden Betonstelzen rund um die ganze Insel und duch die Berge getrieben haben, nimmt all den Verkehr auf.

Meine Ruhe.
Mein Glück.

Dabei nutze ich die Zeit auch, um meine Blicke ins Innere der Insel schweifen zu lassen. Viel gelesen habe ich über die mystischen Orte, die kleinen Dörfchen und verschlafenen, vom Rest der Zeiten abgekoppelten Städtchen, die sich in den unzähligen Schluchten und Tälern Siziliens verstecken.

Corleone, das Dorf des "Paten", Castelbuono, Santa Caterina Villarmosa. Alles Orte, die ich gerne besuchen würde, aber aufgrund des engen Zeitplans wohl auf einen anderen Trip verschieben muss.

Dabei faszinieren mich die Einblicke ins Inselinnere.

Vor allem die riesigen, ausgetrockneten Flussläufe, in denen bei der Schneeschmelze des Frühlings die Hölle abgehen muss, ziehen meine Augen an. Sie wirken wie aus "Herr der Ringe", wie aus "Star Wars" - wie aus irgendwoher, nur nicht, wie von dieser, meiner Erde.

Abgelegen, weitab, entfernt - so, wie ich mich bisweilen fühle. Eine Landschaft wie ein Spiegel in die Seele. Es scheint, als könne genau da hinten der Palast von Jabba the Hutt stehen ...

Vor mir liegen noch etliche Kilometer, keine Autos weit und breit, keine Menschen - ja, wenn ich nachdenke, sogar auch keine Tiere. Wo sind die Leute hin? Was ist hier passiert?

Dann trete ich rein, beschleunige - zumindest so gut, wie es bei gefühlten 40 Grad eben geht - kurbele und schalte nach oben, fliege um die Kurven und rausche am Abgrund entlang und fühle mich wie der König der Welt.

Hinten schält sich das Neuland, das ich in 15, 20 Minuten durchfahren werde, aus dem feuchten Nebel der Brandung, weit hinter mir saugt derselbe Salzdampf das bereits eroberte Gelände ein.

Unter mir surren die Carbonlaufräder, heiße Luft strömt durch den Helm - was kann es Schöneres geben?

Irgendwann erreiche ich die erste größere Stadt auf meinem Weg: Es ist Santa Lucia am Capo d´Orlando. Zunächst fahre ich durch bezaubernde Gässchen und zugeparkte Gehwege, eine Stadt, die schläft: Es ist Siesta und die Sizilianer tun gut daran, sich in ihren kühlen Häusern hinter geschlossenen Jalousien zu verschanzen - die Hitze lassen sie draußen, sperren die drückenden Temperaturen aus.

Ich hingegen kämpfe mich weiter durch die Stadt.

Und dann kommt es - "Höllentour", Tour de France und alle meine radsportlichen Albträume lassen grüßen: Es folgt die Mutter aller Anstiege, das "Bück Dich!" nach der Seife, meine Apokalypse.

Die SS 113 macht hier abrupt eine Rechtskurve und was sich da vor mir auftut, ist nichts geringeres als Asphalt-Terror: 22 Prozent Steigung verspricht mir das Schild, und ich erinnere die 16 Prozent meines Hamburgischen Waseberges.

Und habe nicht mal mehr Zeit zu beten.

Die erste Rampe trete ich empor und glaube, ich ticke nicht richtig: Atemlos klicke ich mich nach nur 200 Metern aus. Meine Lunge muss ich umständlich zurück in meinen Brustkorb stopfen, drehe meinen Kopf, blicke geschockt in den Abgrund, den sie hier "Straße" nennen und versuche, das Unfassbare zu begreifen: Und das hier soll eine ganz normale Superstrada sein?

Kein Wunder, dass die Autos, LKWs, Mopeds und wahrscheinlich auch Pferde- und Eselskarren die Autobahn hoch über meinem Kopf benutzen.

Unzählige Flüche, gefühlte dreihundert Höhenmeter und etwa drei Liter Schweißmenge später rette ich mich keuchend auf die nächste Kehre nach einer weiteren gewonnenen Serpentine - und finde, dass die Straßenplaner hier am Capo d´Orlando nicht mehr und nicht weniger als die schlimmste Straße der Welt gebaut haben.

Dann kämpft sich surrend und quälend ein Moped im ersten Gang hinter mir den Hang hinauf, der Fahrer nickt mir nur zu - ich bin zu keiner Regung im Stande, so fertig bin ich.

Und noch nicht einmal die Hälfte geschafft!

Immer höher geht es hinauf - der Blick zurück offenbart die Höhe, die ich hier mit hochrotem Kopf, kochendem Blut und butterweichen Waden erobere, in meinen Beinen zirkuliert Säure, das Laktat tropft mir aus den Ohren - ich möchte nicht wissen, wie meine Augen jetzt aussehen.

Das also sind 22 Prozent Steigung!

Unglaublich, unfassbar! Ich stelle mich in einer S-Kurve - keine 50 Meter lang, dafür brutal schwer zu fahren, da in den Innenseiten der Kurven der Gradient an die 90 reichen muss - an die Seite und versuche, ein Foto zu machen, dass diese Brutalität einfangen könnte.

Zweiundzwanzig Prozent!

Ich nutze jede Einfahrt, jeden kleinen Feldweg, jede Parkbucht, um anzuhalten, um Luft zu schnappen - so unglaublich steil ist es, dass ich mir wünschte, statt des 27er "Kletterritzels" eines von diesen Pedelecs der Muttis aus der Einkaufsstraße in Altona unter meinem Hintern zu haben - alles, nur nicht noch weiter hoch müssen! Alles, nur nicht noch mehr treten!

Aber alles atemlose Fluchen hilft nichts - hier muss ich rüber!

Scheiße!

Immer mehr, immer höher, immer härter! Dieser beschissene Anstieg hier nimmt kein Ende! Neben mir türmt sich der Berg auf, mannshöhe Kakteen blühen, eine wahre Pracht, die mich hier aber nicht interessiert, zu sehr brauche ich jetzt jedes Sauerstoffmolekül, zu wenig von diesem kostbaren Gas können meine heißen Lungen aus dieser ätzenden, heißen Luft hier filtern.

Wenige Meter noch, denke ich mir, nur noch zehn, neun, acht Umdrehungen. Nein, doch nicht, wohl eher zwanzig - unendlich lang kommt mir dieser Anstieg hier vor, unendlich, die Quälerei - mal ehrlich Leute, 10, meinetwegen auch 15 Prozent sind ja noch ganz spaßig - aber 22 ... bitte ... das ist Quälerei!

Ich danke Gott, als ich oben ankomme. Keine Ahnung, wie hoch ich hier bin. Keine Ahnung, wie viele Meter dieser gottverdammte Anstieg hier lang war - ich bin oben, krieche auf dem Zahnfleisch die letzten Meter entlang und stelle mein Rennrad an eine Mauer.

Ein Sprayer hat ein Kruzifix an die Wand gesprüht - und wahrlich, ich kann mir vorstellen, dass hier so mancher schon seine letzte Ölung herbeigesehnt hat.

Ich sitze da und sammle wieder neue Kräfte - der Blick in den Abgrund, der sich auf der anderen Seite des Berges unter mir auftut, verschlägt mir den Atem: 22 Prozent - fast senkrecht bergab!

Unbarmherzig, brutal dieser Anblick, ein Wahnsinn, wie steil es hier bergab geht: Diese Serpentinen sehen aus, wie frisch aus einem Sportfilm, wie aus einem Heldenepos über Profifahrer, wie in einer dieser Dokumentationen über Sporthelden, die man so bewundert, bewundert für ihr Leid, für ihre Kraft und ihren Willen.

Beneidenswert ihre Körper, Schweißtropfen, die in Zeitlupe aus verschmutzten Gesichtern tropfen.

Und nun? Nun hock ich hier. Schweiß tropft mir auch von der Nase. Mein Gesicht - auch meines ist verschmiert vom Schmutz der Straße. Mein Leid, grenzenlos. Und doch: Keine Zeitlupe. Kein Pathos. Kein Beifall. Nur ich und die Straße.

Und diese Straße da unten - die hat es in sich!

So stürze ich mich fast kopfüber in die Tiefe - im wahrsten Sinne des Wortes, denn abseitig geht es ebenfalls mit besagten 22 Prozent Maximum bergab. Es gibt auch flacherer Stücke, aber eines, das ist mir von Anfang an klar: Laufen lassen geht hier nicht!

Sobald ich meine Bremsen auch nur ein paar Sekunden löse, beschleunigt mein Rennrad - 40, 45, 50, 55 km/h und schon schieße ich ungebremst auf das tosende Türkis zu, das da einige hundert Meter unter mir schäumend brandet.

Noch nie habe ich so auf meinem Rad gesessen - fast fühlt es sich an, als mache ich einen Kopfstand. Mir gewahr der Tatsache, dass nur ein kleiner Blockierer am Vorderrad unweigerlich den Abflug bedeutet, taste ich mich mit aberwitzigen 5-10 km/h den Berg hinab.

Ich bin sdurchgeschwitzt bei nach dem Anstieg, als ich unten ankomme.
Und zittere wie Espenlaub.

Auch auf der anderen Seite des Kap Orlando zeigt sich die Stadt im Schlummerzustand.
Da mir nach dem Höllentrip von eben nun aber gar nicht mehr nach Kurbeln zumute ist, halte ich an einem kleinen Bistro gleich neben der Straße.

Ich parke mein Rad und bestelle drinnen einen Café und zwei Schokocroissants. Teile des Blätterteiges fallen beim Abbeißen herunter, so sehr zittere ich noch.

Neben mir entpuppt sich die kleine Familie als deutschstämmig, und so nutze ich einen kleinen Augenkontakt, um die Dame zu fragen, ob sie sich hier auskenne.

"Ja, na klar!", sagt sie freundlich. Ihre kleine Tochter schaut mich mit großen Augen an.
"Ich möchte nach Milazzo", sage ich, "lohnt sich das?"
Sie schaut ihren (italienischen) Mann an, der sogleich seine Miene verzieht.
"Milazzo? Näää, machen Sie das nicht! Da ist nur Industrie, nur Dreck und so. Nichts Schönes." Aha, okay, wäre eh ein bissel zu weit gewesen.
"Und was empfehlen Sie dann?"
"Na - bleiben Sie hier! Hier ist ein wunderschöner Strand, richtig paradiesisch hier!", sagt sie lächelnd.

Na, da lehne ich dankend ab - ich mag zwar fertig sein, aber zwanzig, dreißig Kilometer will ich schon noch machen heute. Und so verabschiede ich mich und beschließe, einfach meine Augen offen zu halten.

Die Pause hat mir sehr gut getan - nur war sie zu kurz, denn nur wenige Kilometer später meldet sich meine Blase, sodass ich an einer Tanke, die einige hundert Meter vom Strand entfernt ist, wieder anhalten muss.

Was für eine Aussicht! Ich stelle mir vor, dort unten jetzt eine kleine Hütte zu mieten.
Dort unten jetzt einfach die Klamotten auszuziehen.
Dort unten jetzt durch den heißen, weichen Sandstrand zu stapfen.
Mit meiner Blondine im Arm.
´ne Runde schwimmen.
... und so.

Aber hey, ist ja kein Wunschkonzert hier, also so, aufgesattelt - Goethe stromert hier ja auch noch herum!

So trete ich mich langsam wieder in Trance und komme bald in den Runden Tritt. Der Wind schiebt stetig von hinten, mit konstant über 30 km/h kann ich so Einiges aufholen.

Dabei fällt mir immer wieder diese Autobahn auf, die sich in Schwindel erregender Höhe, teilweise wie eine New Yorker U-Bahn oder die Wilde Maus vom Berliner Weihnachtsmarkt aussehend, über mir weite Täler überspannt, sich rigoros durch Berge fräst oder - wie jetzt - auch gerne mal Kurven beschreibt.

Komisch. Und das war nun billiger, als diese fantastische Super Strada hier auszubauen?
Na, mir solls recht sein - noch immer komme ich mir als der alleinige Herrscher des Asphalts vor.

Und während ich noch so nachsinne über Sinn und Unsinn der Autobahn, finde ich mich auf selbiger wieder - irgendwie schwingt sich nun auch die Super Strada in luftige Höhen auf und sobald gleite ich - gepeitscht von hartem Seitenwind - über ein Tal, das mindestens einhundert Meter unter mir ein scharfes V in die Insel schneidet.

Hier oben weht es wie Hulle und so muss ich mich, frierend fast vor Kälte, sehr konzentrieren, Kurs halten zu können.

Und dann wieder ein Kapitel aus "Italien - wie es leibt und lebt."

Ich komme an ein Stück Straße, das wahrscheinlich nach einem heftigen Regenfall durch einen Hangrutsch abgebrochen ist. Bei uns in Deutschland hätten sie eine sofortige Vollsperrung und eine aufwändige Rekonstruktion sowie millionenteure Verstärkung des betreffenden Abschnittes (damit das nicht nochmal passiert!) veranlasst.

Hier in Bella Italia? Nun, sagen wie es so - ein paar Warnhütchen reichen.
E basta!

Undweigerlich muss ich grinsen und an die Autobahnpolizei auf meiner zweiten Etappe denken, die mir, in Sichtweite des Verbotsschildes, die Autobahn als Radweg empfohlen hat. "Aber immer schön rechts fahren!"

Ehrensache, Herr Carabinieri!

Es dauert noch eine, eineinhalb Stunden, die ich in der Sonne brutzle und den Asphalt gerade bügle, ehe ich wieder völlig erschöpft beschließe, dass ich mein Etappenziel erreicht habe.

Es ist eine schnieke Bucht, wie immer, fast schon schade, das als selbstverständlich hinzunehmen, branded ein geradezu verschwenderisch-karibisch anmutendes Mittelmeer an einen wilden Strand, eine kleine Promenade lädt mit leeren Bänke zum Verweilen ein und dieser Ort heiß gerade so, wie mein liebster Freund aus fernen Abi-Zeiten: Patti.

Doch ich wähne mich zu früh am Ziel - denn hier untem am Strand ist nichts. Kein Hotel, keine Pension, nichts. Nur eine Promenade und Bänke. Nach Patti, das zeigt mir ein Schild an, geht es bergauf. Und wie!

Hoch oben, geradewegs in den Hang gemeißelt, haben sie wilde Häuser in den Fels gestellt. Ein Kloster und ein Schloß grüßen mich und als ich dann endlich, wahrlich auf dem letzten Zahnfleisch kriechend, die Stadt erreiche beschließe ich, im erst besten Hotel einzuchecken.

Der Besitzer ist freundlich und bringt mich in ein geräumiges und angenehm kühles Zimmer. Nur 45 Euro soll hier die Nacht mit Frühstück kosten und da direkt unten im Hotel ein Restaurant zu sein scheint, willige ich schnell ein.

Ankommen! Endlich!

Ich entkleide mich und gebe mich dem alltägliche dem Ritual hin: Duschen, Eincremen und den Arsch salben. (Wie gesagt - leider befindet sich meine Niveau noch zu Hause im Badezimmer, sodass ich mein Gesicht mit der Arschcreme salben muss, aber das tut dem nicht Abbruch).
Nach der heutigen Etappe - wieder nur knapp über 100 Kilometer lang - will ich mir etwas richtig Großes gönnen!

Denn hey, immerhin habe ich heute Teufelssteigungen jenseits der 20 Prozent gemeistert und es überlebt. Ein sonderbares Gefühl der Rastlosigkeit strömt mir durch die Beine, als ich versuche, einmal ruhig zu sitzen: Aber es gelingt mir nicht. Der Hintern schmerzt.

Und als ich ihn mir im Spiegel - seltsam verrenkt - genauer besehe kann ich erkennen, was mir die nächsten Tage bestimmt noch einigen Spaß bringen wird: Klar, deutlich und in einem Signalrot allererster Feuerwehr-Güte strahlt der dreieckige Abdruck meines Prologo-Rennradsattels mir entgegen. Wie, als hätte ich einen riesigen Schmetterling beim Hinsetzen zerdrückt.

Au Backe, denke ich mir, au backe ...!

Ich wische meine Arschprobleme beiseite, setze mich runter ins Restaurant, das sich beim zweiten Hinsehen als Fehlgriff entpuppt - die Speisen kommen von einer Art heißem Büffet, das aber kalt ist. So wird mir alles von einem pickeligen Jüngling in der Mikrowelle aufgewärmt und ich kann den trockenen Maccheroni-Auflauf nur mit viel Bier herunterbekommen.

Neidisch schiele ich auf den Bergfired hinauf - das Ortseingangsschild hatte hier ein Hotel mit einem Stern mehr versprochen ... aber wahrscheinlich hätten sie mich dorthin mit dem Notarztwagen bringen müssen.

Den Nachmittag und die Dämmerung verbringe ich mit einem kleinen Spaziergang durch die engen, bergigen Gassen des Ortes, der mir - obschon ich hier buntes Treiben beobachten kann - auch so seltsam entkoppelt vom Rest der Welt vorkommt.

Wovon leben all die Leute hier? Was mag ihr Tagwerk sein?
Beim Herrn Goethe finde ich auch keine Antworten - denn der ist nie durch Patti gekommen.

So schließe ich den Tag ab, salbe, im Hotelzimmer angekommen, noch einmal mit tiefen Sorgenfalten meinen Popo und begebe mich wie immer früh zu Bett.

Ich schlafe ein mit der Karte Italiens vor dem geistigen Auge. Und ich freue mich: Morgen werde ich denn dann auch das Ostkap Siziliens umrunden und in Sichtweite des italienischen Festlandes die Spitze des Stiefels sehen.

Und irgendwie, ich weiß nicht, warum, macht mich das total glücklich.


Etappe 9 - Cefalú-Patti

Etappenlänge: 107,90 km
Fahrtzeit brutto: 5 h 25 min
Fahrtzeit netto: 3 h 38 min
Schnitt:
28,4 km/h


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2 Kommentare:

  1. Super schöner Bericht! Und wir haben uns erst durch die Etappen in Sizilien gelesen. Allerdings hat es bei uns unterschiedliche Gefühle ausgelöst. Während mein Mann vor Vorfreude glüht ist bei mir der Angstscheiß ausgebrochen. Mein erster Schritt in google map zu schauen, ob das Cap D`Òrlando hoffentlich außerhalb unserer Reichweite ist. Es ist! :-)

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  2. es wäre sehr schwer für mich so viel mit dem Fahrrad zu reisen, um

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