Riposo in Rom

Ich wache auf. Es ist sehr früh - aber von draußen quillt schon einige Zeit lang teergetränkter Smog zusammen mit einem endlosen Stakkato quakender Auto- und Scooterhupen durch die offenen Fensterläden in mein Studio.

Rom ist schon längst erwacht.
Und weckt mich.

Das Frühstück fällt karg aus - morgens vertrage ich meist nur einen Kaffee. Und diesen koche ich mir mit einer typisch italienischen Bialetti-Maschine. Der ist dann so lecker, dass ich mir vornehme, mir in Deutschland gleich selbst eine zuzulegen.

Eine Dusche und ein paar Minuten später tummle ich mich mit Myriarden anderer Touristen über geschichtsträchtige Pflastersteine zu den Plätzen, die man gesehen haben muss. Der Petersdom - er liegt mir doch so nahe - soll mein erstes Ziel sein. Es ist nicht mal 10 und ich schwitze wie ein Schwein. Die anderen auch. Angenehm.

Ich schaue impor, die Sonne blendet mich, und ich muss an die Worte des Geheimrats denken:

Mich ergriff ein wunderbar Verlangen, das Oberhaupt der Kirche möge den goldenen Mund auftun und, von dem unaussprechlichen Heil der seligen Seelen mit Entzücken sprechend, uns in Entzücken versetzen.


So stehe ich mit gefühlten fünftausend anderen Touristen am Fuße seines Fensters und recke mir den Hals wund - "wir" sind ja nun auch nicht aller Tage Pabst - aber gezeigt hat er sich trotzdem nicht. Naja, kein Wunder: Bei der Hitze wäre ich auch lieber in meinem Sommerpalast.

Ich spare mir die achthundert Meter lange Schlange, die sich behäbig in den Petersdom schiebt: Sicher, dieses Bauwerk, über das ich schon so viel gelesen habe, die Sixtinische Kapelle und all die anderen architektonischen und kunsthistorischen Kostbarkeiten hätte ich gern gesehen. Aber nicht so. Nicht heute.

Ich kämpfe mich weiter durch die heiße Stadt.

Hinter einer Gruppe kaugummikauend englisch plappernder Amerikaner drücke ich mich entlang einer hohen Mauer nach - ich weiß nicht wohin. Überholen sinnlos, sie nehmen die ganze Straßenbreite ein.

Ich beschaue mir die Mauer und rätsele - ist es die Stadtmauer des Vatikan?
Ein Aquädukt?

Da sehe ich an deren Ende die Engelsburg. Ah! Mir fällt es wieder ein: Es ist die "Pasetto". Eine Kombination aus gepanzertem Bunker, Geheimgang, Mauer und Fluchtweg. Wenn es brenzelig wurde, konnte hierüber der Pabst in seine Trutzburg fliehen.
Interessant.

Auf dem Vorplatz der Engelsburg bieten sich als Römische Centurios verkleidete, mehr oder weniger durchtrainierte Jungs zum Fotoschießen an. 15 Euro kostet der Spaß. Und dazu Plastikfedern auf dem Kopf und Blechschwert im Halfter.

Ein paar meiner Amis machen das.
Awesome.

Den Blick über den überraschend schnell dahinfließenden Tiber kenne ich ja schon von gestern, ich genieße ihn aber heute umso mehr, als dass ich mir vorstelle, wie viele Millionen Menschen ihn von dieser, meiner Stelle ihn schon genossen haben mögen - und wie viele tausend Jahre das hier nun schon so gehen mochte.

Rom. Die ewige Stadt. Unfassbar alt, unfassbar, dass hier unsere ganze europäische Kultur maßgeblich geprägt worden ist.
Unfassbar, wie Rom nachhaltig die ganze Weltgeschichte beeinfluss hat. Und heute Berlusconi. Naja, wenigstens sorgt der heute für weltweite Belustigung.

Richtig römisch wird es, als ich mich wieder in die Innenstadt, ins historische Zentrum kämpfe. Das Forum Romanum liegt mir zu Füßen - betreten verboten, klar, aber sehen reicht hier umso mehr, als dass ich unter mir, 15 bi2 20 Meter unter dem heutigen Bodenniveau der Stadt in Zeiten blicken kann, die so unglaublich lange her sind, dass es gut sein mag, dass da unten tatsächlich einmal Kaiser Konstantin oder Caesar persönlich auf den Marmorplatten gegangen sein mag.

Man spürt hier förmlich die Geschichte der Welt, sieht klar vor Augen, dass dort unten Großes passiert sein mochte. Ich kann mich gar nicht satt sehen.

Streiten ließe sich vortrefflich über das, was ich mir dann besehe: Das Nationaldenkmal, oder "Monumento Vittorio Emanuele II" auf der Piazza Venezia.

Riesige italienische Flaggen vor strahlend weißer, fast schon kitschig-monumentaler Säulenorgie, eine riesige Reiterstatue und eine Architektur, die meiner Meinung nach nichts mehr von der erhabenen, mathematisch präzisen und subtil-umwerfenden Perfektion der altrömischen Tempelbauten hat, sondern die protzt und einnimmt.

Aber an nationalen Heiligtümern soll man nicht rütteln - auf unsere Quadriga lasse ich ja auch nichts kommen ...

Ich freue mich, als ich inmitten der flirrenden Hitze einen Zeitungskiosk der Frankfurter Allgemeinen entdecke - allerdings verkauft der heute keine einzige deutsche Zeitung mehr. Wäre ja auch gelacht, diese lächerliche deutsche Enklave direkt vor dem Nationaldenkmal.

Den Touristen scheint das Denkmal auch nicht recht zu gefallen - Massen an Bussen nutzen den großen Vorplatz zum Ein- und Aussteigen, Gruppen sammeln sich, Menschen finden sich - aber eher, um von hier aufzubrechen zu Forum Romanum, Petersdom oder - wie ich es jetzt tue - zum Colosseum.

Das Colosseum hatte ich gestern ja schon besucht, heute lasse ich mir Zeit, genieße die Aus- und Einsichten in das Gebäude und muss staunen: Diese Pracht, diese Fülle, diese Masse. Unfassbar, wie die das früher geschafft haben.

Fast meint man, das Getöse der Massen, das Brüllen gereizter Löwen zu vernehmen, wenn nicht wieder ein Plastik-Zenturio und eine Traube dicker Amis einen wieder ins Hier und Jetzt zurückholen würden.

Goethe formuliert seine Eindrücke so: Wenn man so eine Existenz ansieht, die zweitausend Jahre und darüber alt ist, durch den Wechsel der Zeiten so mannigfaltig und von Grund auf verändert und doch noch der selbe Boden, der selbe Berg, ja oft die selbe Säule und Mauer, und im Volke noch die Spuren vom alten Charakter, so wird man ein Mitgenosse der großen Ratschlüsse des Schicksals, und so wird es dem Betrachter von Anfang schwer zu entwickeln, wie Rom auf Rom folgt, sondern die verschiedenen Epochen des alten und neuen selbst aufeinander.

Ja, so ist das: In Rom atmet jeder Stein Geschichte. Jede Straße. Jede Ecke - unvergesslich.

Vorbei an Kaiser Augustus und allen anderen Kaisern und Caesaren bahne ich mir staunende Schritte zurück in die Straßen, die ich kenne, schlendere noch über den Campo di Fiori und schlage mich in Richtung Villa Borghese durch den Smog und die Tausenden Scooter.

Ein Gehupe und Geschnarre, ein Gedränge und Geschubse - wo ist die sprichwörtliche italienische Gemütlichkeit? In Rom ist sie jedenfalls nicht. Kaum etwas unterscheidet die römische Art von der, die ich in Tokio, New York oder Seattle erlebt habe. Naja, bis auf die drückende Hitze.

Ich schlage mich, aufbrechend vom Trevi-Brunnen, durch diese shoppende Millionenstadt und muss mich doch immer wieder wundern, wie sich diese Luis Vuitton-Superstores - gesichts- und charakterlos - in all den Städten halten können, die ich besuche. Ich meine: Wer fährt denn nach Rom, fliegt um die halbe Welt nach Tokio, sitzt 6 Stunden im Flieger nach New York, um sich dann von Damen bedienen zu lassen und eine vollkommen überteuerte, designtechnisch fragwürdige, dunkelbraune Tasche zu kaufen, die man auch in Berlin-Charlottenburg gekauft bekommt?

Ich weiß es nicht.

Aber ich freue mich, als ich auf der Piazza des Popolo etwas Luft zum Atmen bekomme.

Ich klettere auf den Berg hinauf zur Villa Borghese und beschaue mir die Stadt der fünf Hügel. Außer den Meinen erkenne ich zwar keinen weiteren, aber ich erahne von hier oben die Ausmaße dieser Stadt - und wie sie tausende Jahre lang als Moloch, Weltwunder und Herrscherin der bekannten Welt gewirkt haben muss.

Unter mir hat jemand eine Liebesbotschaft auf die Straße gemalt - oder einen Fluch?

Ich schlendere fast 2 Stunden durch den Park der Villa, ehe ich mich wieder - die Lungen frisch mit reinerer Luft gefüllt - in die Stadt wage. Smog und Lärm kehren zurück, als ich mich wieder durch die engen Gassen schlage.

Plötzlich stutze ich und stehe da: Vor mir das geniale Pantheon.

Doch auch in Rom ist zu wenig für den gesorgt, dem es ernst ist, ins Ganze zu studieren. Er muss es alles aus unendlichen, obgleich überreichen Trümmern zusammenstoppeln. Freilich ist´s weniger Fremden reiner Ernst, etwas Rechts zu sehen und zu lernen.

Sagte immerhin schon der Herr Geheimrat. Und so wundere ich mich staunend an diesem Meilenstein der antiken Baukunst vorbei, kann nur mit dem Kopf schütteln, dieses Juwel dermaßen unverhofft in einer so farblosen Gasse gefunden zu haben und gehe weiter.

Zuhause. Endlich. Ich mache die Tür hinter mir zu, sperre den Smog aus. Streife meine durchgeschwitzten Sachen ab und bereite mir ein großes Nudelgericht vor. Ich resümmiere: Rom. Das warst Du also! Überwältigend, laut, hastig, vollgestopft, atemberaubend, bisweilen enttäuschend trivial und doch so anregend!

Fürs Erste habe ich genug - denke ich mir, als ich die Pasta ins kochende Wasser gebe - schaue auf mein Cervélo, das seit 2 Tagen unbewegt in der Ecke meines Studios steht, und kann es kaum erwarten, endlich wieder aufzubrechen. Endlich die Zivilklamotten auszuziehen und aufzubrechen. Radfahren. Rennrad fahren - MioGiro, mein Giro di´Italia. Es kann weiter gehen. Neapel wartet. Und Sizilien. Noch so viel zu sehen.

Auch Herrn Goethe mögen ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein: Denke ich an Neapel, ja gar an Sizilien, so fällt es einem sowohl in der Erzählung als in Bildern auf, dass in diesen Paradiesen der Welt sich sogleich die vulkanische Hölle so gewaltsam auftut und seit Jahrtausenden die Wohnenden und Genießenden aufschreckt und irremacht. Doch schlage ich mir die Hoffnung jener vielbedeutenden Ansichten gern aus dem Sinne, um vor meiner Abreise die alte Hauptstadt der Welt noch recht zu benutzen.

In mir brennt schon die Vorfreude, regt sich frischer Tatendrang und fließt Kraft durch meine Beine. Ich sehe die Tour de Suisse und schlürfe meine Nudeln, irgendwann schlafe ich ein. Der Wecker wird mich 6 Uhr aus den heißen Federn holen.

So entschlafe ich denn der Welt, gehe im Traum noch einmal zu all den Orten der Geschichte, wo sich das Schicksal der Welt so fantastisch mir der eigenen Fantasie von glitzernder Antike verbinden lässt. Denke an all das, was ich gesehen und gelernt habe und freue mich darüber, endlich einmal hier gewesen zu sein.

Denn morgen schon wird mich mein Rennrad wieder weggetragen haben. Nach Süden. Weiter in Richtung Sizilien.

2 Kommentare:

  1. Wie eigentlich immer zu erwarten sind Deine Blogposts immer mehr als reine Blogposts, jedenfalls mehr als reine Beschreibungen. Das ist ja fast literarisch was Du da so produzierst, weshalb Deine Bezüge zu Goethe gar nicht so anmassend sind. Weiter so, ich bin gespannt!

    Kurze Frage: schreibst Du unterwegs grobe Skizzen zur Erinnerung oder hast Du nur ein sehr gutes Gedächtnis?

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  2. Da muss ich Georg voll zustimmen....und auch nicht. Wer sagt schon dass Blogposts "reine Beschreibungen" sein muessen.

    Die Idee den "Herrn Geheimrat" zu zitieren finde ich besonders gut!

    Ich freue mich jedenfalls schon auf die neaechste Etappe. Also halt dich mal ran Lars ;-)

    PeteD, SC, USA

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