Tappa 8: nach Cefalú

Sizilien, mein Sizilien - ein Traum wird wahr! Endlich werde ich diese zauberhafte Insel sehen können, endlich diese Berge sehen, diesen wohl ganz besonderen Menschenschlag kennen lernen und endlich die - wie man mir oft versicherte - beste Küche Italiens essen dürfen.
Endlich.

Nun nur noch die Überfahrt hinter mich bringen. Auch Herrn Wolfang von Goethe muss das Warten lang geworden sein: "Um drei Uhr morgens heftiger Sturm. Im Schlaf und Halbtraum setzte ich meine dramatischen Plane fort, indessen auf dem Vordeck große Bewegung war. Die Segel mussten eingenommen werden, das Schiff schwebte auf den hohen Fluten."

Er hatte Tage vor sich.
Ich nur 12 Stunden - um 6 Uhr früh sollen wir einlaufen.

Nun, einen ausgewachsenen Sturm habe ich nicht zu ertragen - dazu ist die SNAV Sicilia viel zu groß - aber Seegang herrscht trotzdem. Und was für einer! Irgendwann, ich liege wach, erkenne ich sogar das Muster in den Wellen. Drei mal geht es sanft auf und ab - laaaaaangsam hoch, laaaaangsam wieder runter. Und beim vierten mal macht das Schiff einen Satz. Jedes Mal. Es saust so schnell nach unten ins Wellental, dass es einem in der Magengegend wie Heide Park Soltau vorkommt.

Gesundheitlich macht mir das nichts aus, keine Frage - aber schlafen kann ich irgendwie auch nicht wirklich. Zu sehr falle ich von Back- nach Steuerbord und wieder zurück.

Und so liege ich bis kurz vor Sonnenaufgang mehr oder weniger im "Halbtraum" Goethes und träume mich einige Seemeilen nach Süden, dort, wo die Brandung des Mittelmeeres an die Küsten Siziliens schwabbt.

Mit den ersten Strahlen bin ich geduscht und stehe - noch leicht fröstelnd - an Deck. Hinter uns geht die Sonne über einem nun sehr viel ruhigeren Meer auf und zusammen mit einigen anderen Frühaufstehern stehe ich da, sauge die saubere, frische Salzluft ein und freue mich auf den Landfall.

Wie geht es meinem Rennrad tief unten im Bauch des Schiffes? Hat es das Auf und Ab der Nacht überstanden? Haarrisse im Carbon - gerade jetzt, da es so fest an das Stahlgerippe der Fähre geschnürt ist - treten sehr schnell auf.

Ich wische die belastenden Gedanken beiseite und starre über den Bug des Schiffes hinaus - da, da endlich schält sich zunächst schemenhaft, später umso deutlicher, die Küste aus dem Morgendunst.

Berge!

Nichts als schroffe, steile Berge! Oha, denke ich, da kann ich mich ja noch einmal warm anziehen! Nicht, dass ich mich nicht schlau gemacht hätte, was mich auf Sizilien erwarten würde, aber der erste echte Anblick ist dann doch etwas einschüchternd - Berge!

Langsam schiebt sich das Schiff näher unter Land. Und in dem Maße, wie wir uns der Küste nähern, wachsen auch die kargen Felsgipfel in den Himmel.

Also: Helm ab zum Gebet ...

Immer mehr Leute drängen nun auf das Deck. Endlich ist auch die Sonne vollends am Himmel aufgegangen, sie lässt das Blau im Meer scheinen, strahlt die Insel an und ermöglicht uns eine Einfahrt, die kein Hollywood-Film besser hätte machen können.

Und wie immer freue ich mich darüber, auch bei dieser Tour eine Schiffspassage mit eingebaut zu haben: Sich einer Stadt, einem Land von Seeseiten zu nähern, hat noch einmal etwas genaz Besonderes.

Auch der Herr Geheimrat muss wohl ziemlich fasziniert auf dem Vorderdeck gestanden haben, denn er beschreibt seine Eindrücke so: "Die klaren Schattenseiten aller Gebäude sahen uns an, vom Widerschein erleuchtet. Monte Pellegrino rechts, seine zierlichen Formen in vollkommenstem Lichte, links das weit hingestreckte Ufer mit Buchten, Landzungen und Vorgebirgen. Was ferner eine allerliebste Wirkung hervorbrachte, war das junge Grün zierlicher Bäume, deren Gipfel, von hinten erleuchtet, wie große Massen vegetabilischer Johanniswürmer vor den dunklen Gebäuden hin und wieder wogten. Ein klarer Duft blaute alle Schatten.

Was für eine Sprache, oder?

Bevor ich von Bord rollen kann, streiken - Hallo, Italien! - die Hafenarbeiter. Irgendwann gegen 8 legen wir dann endlich an. Das Cervélo ist natürlich heil geblieben. Ich trete in die Pedale, jumpe von der Stahlrampe und finde mich im kleinen Containerhafen Palermos wieder. Es scheint sich gerade eine Regenfront zurückzuziehen und so grüßt mich ein prächtiger Regenbogen.

Buon giorno zurück, lieber Wettergott!

Den Containerhafen bringe ich schnell hinter mich und finde mich sogleich in einem Verkehrsgewusel allererster Güte wieder - Palermo erwacht. In gewohnt italienischer Manier geht es heiß her auf den Straßen - da wird beschleunigt, gefahren, gebremst, abgebogen, nicht geblinkt, gehupt, gestikuliert, Mama mia! gerufen und wild durcheinander gefahren, das mir Angst und Bange wird.

Fotos zu machen ist in diesem Chaos unmöglich und so bin ich froh, dass ich wie in Trance die ersten Kilometer Palermos überlebe. Die Strecke selbst freilich passiert wie im Traum vor mir - ich biege am Hafen einfach nach links ab in der Hoffnung, diesen Moloch dann irgendwann auf einer ruhigeren Straße in Richtung Cefalú - meinem Etappenziel - verlassen zu können.

Von Palermo selbst bekomme ich gar nichts mit.

Tatsächlich wird die erst vierspurige Magistrale zunächst zweispurig, um sich dann später in eine normale Landstraße zu verwandeln. Weniger Verkehr gibt es trotzdem nicht: Die Straße wird von den Tifosi auch weiterhin befahren, als müssten sie in ihren Fiats, Fords, Alfas und ... Bussen die Ehre der Scudderia Ferrari verteidigen.

Rechts wird es eng für mich.
Und angesichts der endlosen, teilweise 50 cm tiefen Schlaglöcher auch nicht einfacher.

Spannend finde ich die Müllberge, die sich nur weniger Kilometer vom Stadtzentrum, nun wieder zahlreich gen Himmel gestapelt zu häufen beginnen. Schnell weg hier, denke ich mir, in ein, zwei Stunden wird es über 35 Grad Celsius haben. Und wie es hier dann riechen wird, möchte ich nicht wissen.

Die letzten dicken Regenwolken ziehen sich langsam zurück, irgendwann verlagert sich der Verkehr dann auch endgültig auf die Autobahn, die sich parallel zur Super Strada 113 in luftiger Höhe um die Gipfel schlängelt und so finde ich mich nur wenige Kilometer außerhalb Palermos auf einer fast menschen- und autoleeren Straße wieder.

Es blühen Rhododendren am Straßenrand, übergroße Kakteen wanken im Wind und Gummibäume die wirklich so groß wie Bäume sind bewachsen die Straßenränder. Es duftet herrlich frisch, sanft geht es bergauf und bergab und ich werde erst jetzt richtig wach - wach von der tranigen Schiffspassage, wach vom tranceartigen Morgen-Jam Palermos.

Ich bin wieder on track!

Hinter mir Palermo, unter mir feinster Asphalt - ich staune! - und vor mir eine leer erscheinende Insel. Es ist kurz nach 10, harte Böen ziehen an meinem Rennrad, aber ich bin guter Dinge. Trete rein. Beschleunige und versuche, mir diese wunderschöne Insel bewusst zu machen.

Die Pflanzen, die Luft, das Flair ... mein Magen! Mein Magen knurrt unvermittelt auf, als sende ein kleines Bärchen einen Mark erschütternden Schrei gen Himmel. Oh mein Gott, denke ich, ich habe ja total vergessen zu frühstücken!

Mit einemal mal werde ich mir bewusst, dass ich seit dem schlimmen Schnitzel, das ich mir zum Auslaufen gestern in Neapel gegönnt hatte, nichts mehr zu mir genommen habe. Und ein Griff an den Mittelholm meines Rades bestätigt dies: Auch zu Trinken ist fast nichts mehr in den Flaschen!

Idiot!

Ich hoffe auf eine Tankstelle.
Auf ein Café.
Auf einen Supermarkt - irgendwas!

Aber es kommt nichts.

Statt dessen kommen erste Steigungen - harte, giftige Anstiege. Statt dessen kommt die Sonne - und kaum Schatten. Was nützt mir der grandiose Ausblick, wenn ich hier auf Reserve fahre?

Oh man, fluche ich in mich hinein, wie kann man nur so doof sein?!

Ich schwitze. Mit der Außentemperatur, die rapide ansteigt, bringt die Tretbewegung auch meinen Körper auf Touren. Bald schon sind Trikot und Handschuhe völlig durchnässt. Ich röchle, finde kaum Spucke, um meinen Mund feucht zu halten und das Magenknurren wird langsam schmerzhaft.

Cafés, Tankstellen, Supermärkte hingegen finde ich keine - statt dessen fahre ich nah am Wasser auf einer spektakulären Küstenstraße entlang. Neben mir ein Türkis, dass es einem den Atem verschlägt, Das Mittelmeer zeigt sich wahrlich von seiner besten Seite. Eine Farbe, wie zum reinbeißen.

Frischer wird es, wenn es eine Windböe bis hoch zu mir schafft. Dann zerrt sie an meinem Rennrad, zwingt mich, meinen Kurs mit festern Hand zu halten, erfrischt mich aber mit salzigem Aroma. Belebend, aber satt macht der Wind nicht.

Irgendwann - ich zähle die Kilometer - erreiche ich nach einem heftigen, steilen Anstieg, der zum Glück in einer schattigen Allee liegt, ein Dorf. Oben führt die Autobahn entlang, sanft rauscht der Fernverkehr am Idyll vorbei.

Das Dorf ist in die Hänge gesetzt wie ein Baumpilz in eine Borke, fantastische Häuser protzen mit der Möglichkeit eines Panoramablickes von ihren Terrassen, dass man neidisch wird. Und das alles keine 30 Kilometer von Palermo entfernt.
Traumhaft.

Und hier ... hier muss doch ein Café geöffnet haben!
Hat es?
Hat es bitte?

Ja, hat es! Ich verschlinge förmlich drei Dosen Eistee, lasse mir Schokoladencroissants kommen wie am Fließband und genieße drei Cappucchini, dass es mir heute noch das Wasser im Munde zusammen laufen lässt.

Der Herr Patron schaut immer wieder ungläubig zu mir herüber und freut sich, dass sein Backwerk so reißenden Anklang findet.

Ich sitze in der Sonne, alte Herren grüßen mich, ich sie zurück, ich halte meine Nase in die Luft und denke mir: Jetzt biste da, jetzt haste Sizlien wirklich erreicht!

Fast 30 Minuten brauche ich, um meinen Blutzuckerspiegel wieder anzuheben, mich aufzubauen und meinen Magen zu füllen. Sicher: Croissants und Kaffee ist kalorisch gesehen nicht gerade die beste - aber nun wirklich auch nicht die allerschlechteste Sportlernahrung.

Gesträrkt rolle ich zurück auf die Straße und nehme die Rest der Strecke in Angriff.

Ich sage Arreviderci Solanto! und finde mich sogleich wieder auf Meeresniveau wieder, nachdem ich einige kleine, aber sehr spaßige Abfahrten hinter mich bringe. Trabia ist die nächste größere Siedlung, die aber mit siebzigerjahre Plattenbaucharme und den leider so oft gesehenen, italienischen Verhältnissen aufwartet: Alles ist halbwegs verfallen (oder noch halbwegs intakt), dann und wann stinken Müllberge in der Sonne.

So halte ich es lieber mit dem Meere und genieße so oft ich kann den Blick hinüber zum Kühlung versprechenden Nass des Meeres.

Wenig später versperrt ein riesiger Berg den ebenen Weg entlang der Küste und so willige ich wohl oder übel ein, mich und mein Rennrad einige Serpentinen hinauf zu kurbeln - kein leichtes Unterfangen bei geschätzten 30 Grad im Schatten - und von Schatten ist weit und breit nichts zu sehen.

So gehe ich in die Vertikale, schalte auf das kleine Kettenblatt und trete so gleichmäßig wie ich kann die Steigung ab. Es geht Meter um Meter höher, das Zwicken in meinen Waden und Schenkeln bestätigt die körperliche Anstrengung - oben angekommen entschädigt ein gradioser Blick auf Termini Imerese für die Arbeit: Unter mir breitet sich eine kleine Stadt mit kleinem Hafen aus.

Hinter dem Berg scheint sich auch das Wetter zu ändern: Der sonst wolkenfreie Himmel wird langsam besetzt von noch nicht allzu gefährlich aussehenden, aber schon recht dick gefüllten Wolken.
Die Sonne kommt zwar noch gut zum Zuge, aber ich nehme an, dass sich weiter hinten im Inland diese Wolken abregnen werden - die Feuchtigkeit des Meeres über dem Strand eingefangen und über der Insel als reiche Gabe an die Landwirtschaft abgegeben. Ein tolles System - und mithin Garant für die so sagenhaften landwirtschaftlichen Produkte Siziliens, von denen ich hoffe, heute Abend einige beim Essen auf den Teller zu bekommen.

Indes ist Termini Imrese keine Stadt, über die es sich zu berichten lohnen würde. In dem kleinen Hafen liegt eine rostige Fähre, ansonsten gibt es keine Altstadt oder Historisches, es sind kaum Menschen unterwegs und Charme versprüht dieser Ort kaum.

Auch Goethe mag das gewusst haben, denn der bog seinerzeit von Palermo aus direkt ins Inland ab und machte sich erst einmal in die Berge auf: Immerhin winkt nicht weit im Inland das berühmte Corleone (Der Pate) und einige sehr bekannte Klöster.
Aber auch Höhenmeter.

Nein, denke ich mir, dann lieber ins nicht so schöne Termini Imrese, das ich aber sofort durchquere und hinter mir lasse.

Frohen Mutes trete ich rein - das Wetter, die Straßen - einfach alles ist perfekt! Sizilien, so kommt es mir vor, ist das Rennrad-Revier der Wahl! Die Straße hier an der Küste ist nagelneu, kein einziges Schlagloch, keine Welle, nein, nicht einmal Steinchen trüben den Fahrspaß - EU-Mittel, sinnvoll genutzt.

Und das Beste daran: Eine nagelneue Autobahn zieht hoch oben auf Betonstelzen direkt neben der Super Strada ihren Weg - hier brummt der Verkehr. Auf meiner Straße hingegen herrscht Tote Hose: Es ist, als wäre ich allein auf der Insel.

Herrlich!

Als ich vom Berg durch die nächste Stadt rolle, komme ich am wohl traurigsten Pferdehof vorbei, den man sich vorstellen kann: In einem Erdloch - es mag die nicht genutzte Baugrube eines Plattenbaus sein - nur spärlich mit Gras bewachsen, stehen einige klapprige Hütten, notdürftig aus alten Holzbohlen und rostigen Metallplatten zusammen gehämmert.

Es grasen magere Gäule in diesem Loch und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie groß die traurigen Tränen enttäuschter Kinder sein mögen, die sich einen schönen Pferdenachmittag erhoffend, hierher begeben müssen.

Und nicht auszudenken wie es den armen Pferden gehen muss ... sicher hatten es ihre Artgenossen zu Goethes Zeiten besser.

Besser werden dann aber auch die Umstände meiner Rennrad-Reise, denn hinter der Stadt fahre ich nun auf einem Stück fast schnurgerader Straße - wie immer von bester Qualität hier. Und zudem beginnt mit einem mal ein ultrastarker Rückenwind meine Kurbelarbeit aufs kräftigste zu unterstützen: Ich lecke Blut und obwohl ich weiß, dass es womöglich sehr dumm ist, trete ich rein und erreiche dauerhaft Geschwindigkeiten jenseits der 45 km/h.

Dann erkenne ich vor mir die unverwechselbaren Silhouetten von Rennrädern. Schnell schließe ich zu ihnen auf und erkenne verwundert die vertrauten Trikots des Profi-Rennradsportes.

Es sind zwei Fahrer des Rennstalls Lampre, die einen Kollegen von Caisse d´Epargne flankieren. Ich brauche nicht sehr lange, zu ihnen aufzuschließen, denn sie fahren gemütliche 25 km/h. Schnell bin ich an ihrem Heck, grüße freundlich.
Sie drehen sich um, sehen mich und grinsen mich an: Keine abgehobenen Helden also, sehr angenehm!

Ich frage den einen: "Are you Pro?"
"Yes, my friend.", sagt er und grinst mich aus seinem braun gebrannten Gesicht an: "Training Camp for Tour de France."

Oha, denke ich und bin irgendwie stolz, mit den Dreien hier fahren zu dürfen.
Ich lasse mich zurück fallen, mache das Foto und widerstehe nur mit Mühe, die drei Unbekannten um Autogramme zu bitten.

Da mir 25 km/h angesichts der günstigen Verhältnisse dann aber schnell zu langsam erscheinen, verabschiede ich mich höflich, wünsche den Jungs eine Gute Fahrt und beschleunige: Schnell habe ich wieder meine 45 km/h auf dem Garmin und entferne mich zusehends von den Rennfahrern.

Und das, so denke ich mir noch, hat man auch nicht alle Tage: Echten Tour de France-Profis davonzufahren!

Ich schwelge noch einige Zeit in Gedanken an die Jungs und so verkürze ich mir die letzten Kilometer bis zum Etappenziel: Cefalú.

Wie herrlich, wie perfekt, wie sensationell diese Kulisse!

Ich muss stoppen, muss mir ansehen, was Generationen von Bewohnern für eine außergewöhnliche Stadtkulisse in diese wunderschöne Bucht gesetzt haben. Und ich muss bezeugen, dass Cefalú von allen Küstenstädten, die ich bisher gesehen habe, mir die Liebste ist: Hoch oben thront der Rocca - der Felsen. Darunter, fast wie auf einem unsichtbaren Steg, reicht eine dicht bebaute, fast wie aus einem arabischen Märchen anmutende Altstadt - ein Anblick, der mich für Minuten fesselt.

Ich frage in einem sehr schick aussehenden (und teurem) Hotel, ob denn das Cervelo mit aufs Zimmer kann. Kann es nicht. Okay - dann eben keine 150 € Umsatz für Euch. Und mein Glück, denn das Hotel nebenan lässt nicht nur das Rennrad mit aufs Zimmer - es ist noch dazu billiger und mein großzügiger Balkon in den kühlen Innenhof voller Schatten großer Bananenbäume im Atrium.

Ein Traum.

So dusche ich erst einmal ausgiebig, ruhe mich eine halbe Stunde auf meinem großen Bett aus und putze dann auf dem Balkon mein Rad.

Gott segne die Mini-Bar, denke ich mir, und bin dankbar für die vielen 0,2l-Döschen und Fläschchen voller eiskalter, erfrischender Pepsi, Säfte und Wässer.

Dann - es weht draußen ja noch der heiße, aber kräftige Wind - entscheide ich mich, all meine Klamotten noch einmal zu waschen, denn in diesem Fön dürften sie binnen 10 Minuten trocken sein. Schnell sind die Sachen eingeweicht und durchgewalkt, wenig später schaukeln sie über der Sonnenliege und tropfen den heißen Terrassenboden voll.

Erst, als meine Wäsche frisch nach Rei in der Tube und Teebaumöl (gegen Bakterien und Schimmel) duftend in der Sonne baumelt mache ich mich auf, die Stadt zu erkunden.

Wahnsinnig schön liegt die Silhouette Cefalús in der nachmittäglichen Sonne, als ich an der windgepeitschten Meeresbrandung entlang spaziere und mich nicht satt sehen kann. Es sind wenige Touristen da, sodass sich das Gefühl, hier einen ganz intimen Moment zu erleben, einen kleinen, privaten Schatz aufgetan zu haben, nur noch verstärkt.

Die engen Gassen sind zu dunkel, um Fotos zu machen, aber ich wandle in ihnen wie vertraut, ganz so, als kannte ich diese Städtearchitektur noch aus der Abendlektüre aus Tausendundeine Nacht zur Kindheit - vertraut und doch fremd, duftend nach Gewürzen, nach Fisch und See. Braun gebrannte Menschen, ehrliches, zahnloses Grinsen und so verliere ich mich zwei Stunden spazierend in diesem Traum.

Ich suche und finde ein Restaurant, dessen Name sich ansprechend klingend Hunger macht und bin, als ich zum Tisch geführt werde, wiederum aufs Neue begeistert: Ein Glücksgriff!

Ich habe einen Tisch direkt am Fenster - und unter mir, die Scheiben erreichend, branded das schäumende Mittelmeer, direkt gegenüber schickt sich die Sonne an, mitt letzter Kraft noch einmal ihre Wärme über Sizilien auszubreiten, um dann - immer röter und röter werdend - in den türkisen Fluten zu versinken.

Hier nervt keine theatralische Musik. Alles andere als erhabene Stille und das vielfältige Getuschel der Tischnachbarn wäre an diesem Ort, in diesem Moment auch Frevel. Die Betreiber hier wissen um ihren Standort - wahrlich, diese Aussicht ist Gold wert!

Ich bestelle und bekomme handgemachte Spaghetti alle Vongole - frisch gefangen am heutigen Tage, wie mir der Wirt bestätigt. Dazu trinke ich an einem Viertelliter Wein, der mir zugleich zu Kopfe steigt, was aber okay ist, denn ich kann mich gar nicht satt sehen an diesem Ausblick, nicht satt essen an diesem Menü und bin so froh, so glücklich hier zu sein, dass ich ganz wild vor Romantik an alle möglichen Freunde SMS und MMS versende und sie am liebsten hier, bei mir am Tische hätte, denn mir ist, als hätte ich das Paradis gefunden.

Da geht sie hin, die Sonne, versinkt, es wird dunkler und dunkler, ich lalle fast, als ich mich mit der Mutter und ihrem Sohn vom Nachbartisch unterhalte - er ist 16, sie knapp 40, beide wunderschöne Menschen, auf einem Mutter-Sohn-Trip. Norweger. Perfektes Englisch mit typisch attraktivem, skandinavischen Akzent.

Sie staunen und staunen als sie hören, dass ich mit dem Rennrad dieses Land bereise. Dass ich heute keine 100 Kilometer gefahren bin und beinahe durch einen dummen Fehler einen Hungerast riskiert habe, verschweige ich lieber.

Als ich halbtrunken am Strand zum Hotel wanke, drehe ich mich desöfteren um, sauge diese Stadtansicht in mir auf, lichte sie ab, finde kein Foto angemessen, diese vollkommene Schönheit einzufangen, und texte an meine Süße eine SMS, dass ich den Ort gefunden hätte, an dem ich ihr dereinst einen Antrag machen möchte.

Und wahrlich - Cefalú, du bist die Schöne dieser Reise, du bist der Etappenort, der mich verzaubert hat, der mich entschädigt hat für alle die hässlichen Löcher, die Müllberge, die stinkenden Deponien, die hüfttiefen Schlaglöcher und die traurigen Pferdehöfe. Du bist Stein gewordenes Märchen - Dich muss man gesehen haben!

Aus der Mini-Bar genehmige ich mir noch ein Tröpfchen Wasser für 2 Euro, ehe ich die Flügeltüren meines Balkons weit öffne, den Vorhang vor den Mond ziehe und die heiße Nachtluft in mein Zimmer lasse. Nackt, satt, betrunken und glücklich sinke ich in die weiße Wäsche, dämmere weg und schlafe eine traumlose, aber vollkommen perfekte Nacht ...

Cefalú.
Was heißt das übersetzt?
Märchen. Bestimmt.

Etappe 8 - Palermo-Cefalú

Etappenlänge: 74,38 km
Fahrtzeit brutto: 3 h
Fahrtzeit netto: 2 h 33 min
Schnitt:
28,1 km/h


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