Tappa 6: nach Gaeta

Es ist 5 Uhr. Das Handy weckt mich sanft - muss es nicht, ich liege eh schon wach und sehne den Tag herbei. Nicht, dass ich Rom nicht toll finde, aber ich bin hier, weil ich einenn Giro di Italia fahren will. Ich bin hier, weil mein Rennrad durch dieses wundervolle Land gesteuert sein möchte.

Aufstehen.
Duschen.
Frühstücken.

Nach einer Stunde stehe ich vor dem Studio, werfe den Schlüssel in den Briefkasten und schiebe das Cervélo auf die große Magistrale vor mir.

Leer. Menschenleer. Niemand zu sehen. Nichts zu hören - wo sonst tausend Autos pro Viertelstunde sich im Smog nebst Myriarden von Touristen langsam nach Norden und in die andere Richtung quälen, sehe ich jetzt niemanden. Allein. "28 days later" in Rom.

Angenehm.

Ich lasse mich auf den Sattel nieder und fahre los. Die Ampeln stehen auf Grün - nur ab und zu überholt mich ein einsamer Transporter, Zeitungsjungs auf Mopeds surren verlassen durch enge Gassen. Und ich habe das Collosseum in gleißendem Sonnenlicht eines neuen Tages für mich allein. Ich umrunde es auf dem Weg in die Sonne und nehme Abschied. Forum Romanum, Kaiser Augustus, Nero und all ihr Caesaren - Heil Euch und bis zum nächsten Mal!

Mein Etappenziel heute ist Gaeta, eine kleine Stadt am Meer weitere 140 km im Süden von Rom. Heute werde ich das Meer sehen, endlich wieder. Heute werde ich den "zivilisierten" Norden verlassen und nach Süditalien einfahren. Der Unterschied?

Der Norden ist industrialisiert. Reich.
Der Süden ist arm. Hab ich mal auf arte gesehen.
Süden. Wie das klingt?!
Und dann Neapel ...

Während ich mich einen der fünf Hügel, auf denen Rom gegründet wurde, einsam hinaustrete, kommen mir Goethes Worte in den Sinn, der irgendwann auch Rom gen Neapel verließ:

Denke ich an Neapel, ja gar an Sizilien, so fällt es einem sowohl in Erzählung als in Bildern auf, dass in diesen Paradiesen der Welt sich zugleich die vulkanische Hölle so gewaltsam auftut und seit Jahrtausenden die Wohnenden und Genießenden aufschreckt und irremacht.

Vesuv und Ätna, ich komme!
Doch zu erst muss ich Rom verlassen - und das in Richtung Castell Gandolfo, dem Sommersitz des Papstes.

Kaum passiere ich das Ortsausgangsschild - der Verkehr nimmt langsam zu, ebenso, wie die Temperaturen steigen - da geht die Straße in die Senkrechte über. Fast 3 Kilometer geht es spürbar steil und schnurgerade nach oben.

"Castell Gandolfo" steht auf den Schildern, wahrscheinlich wird diese Rampe in zwei, drei Stunden von Touristenbussen überfüllt sein.

Ich schwitze mich nach oben, sehe aber nichts von der Pracht des päbstlichen Sommerpalastes, dafür genieße ich nach Westen einen wundervollen Ausblick über das Tiberdelta, das sich unter mir ausbreitet.

Ich fahre auf der berühmten "Via Appia" - jene legendäre Straße, die schön zur Antike die Hauptverkehrsader Roms war. Die Route 66 Italiens.

Bis Velletri ertrage ich ein bisweilen zermürbendes Auf und Ab. Kurze, steile und giftige Anstiege durch eine bewaldete Hügellandschaft wechseln sich ab mit kleinen rasanten Abfahrten. Ich fahre auf Bergraten zwischen Feldern, kleine Ministraßen die bei uns einer Landstraße gleichkämen werden hier von LKW-Verkehr genutzt, als sei es eine Autobahn. Nervig.

Ich freue mich, als das Trauerspiel nach rund 30 Kilometern ein Ende hat, ich Velletri - ein wunderschönes größeres Dörfchen - erreiche und der Meinung bin, nun meine letzte Serpentine des Tages erklommen zu haben - denn irgendwann muss es ja mal runter an die Küste gehen!

Hinter Velletri wird es tatsächlich flacher - und siehe da! - vor mir entdecke ich eine Gruppe Rennradler. Acht, neun, zehn Mann fahren in einem kleinen Peloton. Ich beschließe, sie einholen zu wollen und erhöhe das Tempo. Keine einfache Sache, denn die Straßen sind schlecht, ich muss mich sehr darauf konzentrieren, die Schlaglöcher sicher zu umfahren. Zudem nervt der Verkehr, der nun auf gewohnt hohem italienischen Niveau sich an mir vorbeidrückt. Langsam schließe ich auf. Altherren und ein paar Jungspunde.
In einer langgezogenen Rechtskurve überhole ich das Peloton mit einem freundlichen "Buon giorno". Einige grüßen. Ich ordne mich hinter den beiden Führenden ein. Sie fahren mit 25 km/h. Einige Minuten lasse ich mich ziehen, dann wird es mir langweilig.

Ausgeschert.
"Ciao" gerufen.
Und weg bin ich.

Es geht weiter auf der SS 7 - oder Via Appia Sud - bis ich Cisterna di Latina erreiche. Die Strecke bietet wenig Sehenswertes: Rechts von mir in etwa 15 Kilometern Entfernung ragen einige schroffe Berge auf, unmittelbar neben mir wird Landwirtschaft betrieben. Wenigstens wird die Straße besser.

Durch Cisterna schlage ich mich, und komme dann auf die richtige, die echte und wahre Via Appia - eine von Bäumen umstandene Allee, schnurgerade wie mit einem Lineal gezogen. Ein erster Höhepunkt des Tages.

Der Herr Geheimrat weiß einiges über die Via Appia zu berichten:

Der ganzen Länge nach in gerader Linie ist die alte Via Appia wieder hergestellt, an der rechten Seite derselben der Hauptkanal gezogen, und das Wasser fließt darin gelind hinab, dadurch ist das Erdreich der rechten Seite nach dem Meere zu ausgetrocknet und dem Feldbau überantwortet; soweit das Auge sehen kann, ist es bebaut oder könnte es werden, wenn sich Pächter fänden.

Fanden sich auch. Und so stehen Korn, Salate und viel Grünzeugs sauber in Reih und Glied auf den Feldern und Plantagen neben mir.

Ich selbst muss nicht viel tun, denn es gibt keine einzige Kurve, die ich durchfahren muss, keine noch so kleine Korrektur des Kurses ist vonnöten - die Via Appia geht von hier ab über 40 Kilometer vollkommen gerade durch die Landschaft.

Ich habe Pech. Ein stetig von rechts wehender Wind macht mir zu schaffen. Nicht, dass er mich sonderlich bremsen würde: die dicht stehenden Alleebäume lassen nur wenige Böen auf die beschützte Straße. Nein, es ist der Geruch. Denn der Hauptkanal, den es schon zu Wolfgang Goethes Zeiten gab, scheint kein fließendes, sondern eher stehendes Wasser zu enthalten.
Und das Wort "Wasser" ist hierbei noch nett ausgedrückt.

Auf Deutsch: Es stinkt nach Scheiße! Und zwar nicht nur so "Hoppla, da hat einer einen kleinen Pups gelassen ..." sondern so wie ... schnell weg hier!

Und so trete ich rein, fahre mit 33, 34 km/h Schnitt, aber der Kanal weicht nicht von meiner Seite. Und keine zwanzig Minuten später scheint es, als schmecke ich die stinkende Schlacke auf meiner Zunge.

Ich entscheide mich spontan, an einer Tankstelle mit angeschlossenem Café eine kurze Pause zu machen - das ewige Geradeausgefahre hat mich schon ganz kirre gemacht. Die Gülle auf meiner Zunge spüle ich mit einer eisgekühlten Flasche Eistee herunter.

Ich sitze draußen, mein Rennrad parkt neben mir, als ein junger Mann, der hier offensichtlich zum Inventar gehört, auf mich zukommt: "Ciao!"
"Buon giorno", entgegne ich.
"Hai una bella corsa!", sagt er. Und ich rate, dass es ein Kompliment ob meiner Rennmaschine ist.
"Grazie", erwidere ich und schaue ihn mit Hundeaugen an: "Sorry, I don´t speak Italian."
"Oh, nessun Problema", sagt er da und steht auf: "Where come from?"
"Hamburg, Germany.", antworte ich und nehme einen Schluck Eistee.
"Ahhh, Germania?", schwärmt er, klatscht augenblicklich die Hacken zusammen, reckt seine Rechte zum Deutschen Gruß und bellt ein "Heil Hitler!" in die Tiefebene. Mir kommt der Eistee fast hoch. Ich schaue ihn schockiert an. Er grinst, lacht und grüßt mich noch einmal mit dem scheiß Deutschen Gruß.
"Ich muss hier weg!", denke ich mir und winke ab: "No, no, no good!", sage ich - allerdings in einem beschwichtigendem Ton. Wer weiß, wie der hier drauf ist. Augenscheinlich steht er irgendwie auf Hitler.
Sein Vater kommt um die Ecke, sofort krallt Sohnematz sich den Alten Herren und deutet auf mein Rad: "Guarda! Bella Biccicletta da Corsa!"

"Ah, bella!", macht auch der Vater. "Dove stai andando?"
Ich denke, er fragt, wohin ich fahre. Also antworte ich "Sicilia, Catania - from Venezia."
Beide machen große Augen. Ich fahre fort: "Giro di Italia ..."
Da lachen sie und nicken anerkennend. Der Jungs sagt wieder was zu seinem Vater, "Germania" höre ich raus. Nun schlagen beide ihre Hacken zusammen und grüßen mich deutsch. Oh nein, nicht nochmal! "Heil Hitler", brüllt wieder der Filius.
"No, no." mache ich und stehe auf ... ähm ... ich muss dann mal los.

Papa fragt: "Hitler nix gut?"
"Si si, Hitler nix gut!", erwidere ich.
Da reckt er lächelnd die Rotfront-Faust in die Luft und ruft "Avanti popolo!"
Ah, schon besser!

Ich zeige den Daumen nach oben zum Abschied und mache mich von dannen. Wieso stehen die im Ausland immer gern mal auf dieses Arschloch Hitler? Passend zu meinem faulen Gefühl im Magen atme ich nun wieder den Geruch der braunen Gülle neben mir im Hauptkanal.

Die Fahrt ist eintönig und wenig anspruchsvoll - schnurgerade und ohne Steigungen trete ich mich Kilometer um Kilometer das Lineal Via Appia entlang. Fast eine Stunde geht das so in sängender Hitze. Schon habe ich den Nazi-Eistee wieder ausgeschwitzt, meine Klamotten sind pitschnass und langsam wird mir langweilig.

Hoffentlich passiert bald mal etwas!

Links und rechts fallen mir allenthalben wunderschöne Häuser entlang der Straße auf, die verfallen und verlassen sind. Hier ließen sich vortreffliche Restaurants oder Raststätten aufbauen - mietete man sich so ein Haus an, so hätten die Besucher einen fantastischen Blick auf die Berge im Osten, die in etwa 15 Kilometern Entfernung wie eine Mauer die Ebene abschließen.

Kurz vor Terracina - wo die elende Linealkurbelei ein Ende haben dürfte, sehe ich vor mir, wie die Berge immer näher kommen. Aha, bald geschafft.

Aus 15 Kilometern Abstand werden 5.

Irgendwann ragen sie dann mächtihg drohend neben mir auf - ich habe das Ende der Via Appia erreicht - Terracina ist in wenigen Kilometern greifbar.

Was sagt der Geheimrat dazu? Er schürt nur meine Vorfreude:

Desto erfreulicher und erwünschter war uns die Felsenlage von Terracina, und kaum hatten wir uns daran vergnügt, als wir das Meer vor uns erblickten. Kurz darauf ließ uns die andere Seite des Stadtberges ein Schauspiel neuer Vegetation sehen. Indianische Feigen trieben ihre großen, fetten Blätterkörper zwischen niedrigen, graulichgrünen Myrten, unter gelbgrünen Granatbäumen und fahlgrünen Olivenzweigen. Am Wege sahen wir neue, noch nie gesehene Blumen und Sträuche. Narzissen und Adonis blühten auf den Wiesen. Man behält das Meer eine zeitlang rechts; die Kalkfelsen aber bleiben links in der Nähe.

Na, das klingt doch verlockend, denke ich mir und trete rein - dieses Terracina muss ein Wendepunkt der Tour sein.

Und es wird auch mächtig Zeit, dass sich endlich mal etwas ändert - denn seit dem ich heute Morgen Rom verlassen habe, bin ich - bis auf die bergigen Ausnahmen rund um Velletri herum - nur geradeaus gefahren und das durch mehr oder weniger langweilige Landschaften.

Feld an Feld.
Baum an Baum.

Fast wie in einem LSD-Trip tanzen Licht und Schatten auf meinen Augenlidern herum. Mal lassen die Bäume den einen oder anderen Sonnenstrahl durch - millionenfach blinzle ich gegen die heiße Mittagssonne an und sehne mich nach Terracina, wo ich, angestachelt von Herrn Goethe, auf einen neuen, anderen, spannenderen Abschnitt dieser Etappe hoffe.

Und siehe da: Irgendwann hört die Alleestraße auf. Die Fahrbahn wird vierspurig, der Verkehr entsprechend dichter. Lastwagen um Lastwagen überholt mich - aber auf meinem bequemen Seitenstreifen fühle ich mich durchaus sicher.

Angenehmer wird es kaum: Die Sonne hat jetzt ihren Höchststand erreicht und scheint mir von oben durch die Sonnenbrille. Auch eine Allee würde mich jetzt nicht vor ihren ausmergelnden Strahlen schützen.

Nur die Berge, die sich da vorn in greifbarer Nähe zusammen ziehen, immer näher kommen, versprechen Erlösung. Dahinter muss Terracina liegen!

Mit allerletzter Kraft kurbele ich durch die Vororte, neben mir geht es mittlerweile senkrecht bergan. Auto an Auto, LKW an LKW, ich muss wieder husten - Smog, das untrügliche Zeichen der nahenden Zivilisation!

Dann endlich, Ortseingangsschild Terracina! Pause ist nah!

Dann endlich erreiche ich den Ort. Die Via Appia endet abrupt. Hoch über mir auf dem Monte St. Angelo thront die bedeutendste Sehensqürdigkeit der Stadt - ein alter griechischer Tempel, der Tempel des Jupiter Anxur.

Seit 312 vor Christus führt die Via Appia bis hier her und - wie auch schon seit dem ich in Venedig aufgebrochen war, mir dieses Land zu erobern - es streift mich wieder jener seltsame Hauch der Äonen, die unsere Menschheitsgeschichte sind: Wer wird alles hier gestanden und aufgeblickt haben, damals, vor 2.000 Jahren, als noch Rituale und Wohlgerüche teuren Weihrauchs diesen Tempel am Leben gehalten haben?

Meister Goethe jedenfalls erwähnt den Tempel nicht in seinen Reisebeschreibungen - anscheinend war er damals noch nicht ausgegraben.

Mich aber zieht es an den Strand, wo ein kleines Lokal die Badenden erfrischt. Kein Ristaurante hat offen (Mittagszeit ist Ruhezeit hier in Italien) und so muss ich mich mit einer fettigen Fertigpizza und einer Dose Coca Cola begnügen - na, denke ich mir, die richtige Pasta gibts dann halt eben heute Abend.

Allerdings entpuppt sich der Platz hier am Strand als wahrer Glücksgriff.

Alle paar Minuten kommen zwei, drei - manchmal ganze Scharen von ihnen - junge String-Tanga-Badenixen zum Café und erfrischen sich an Schleckfingern und anderen Eis-Sorten. Die alten Herren, die unter den Lipton-Schirmchen Karten spielen - und ich ich selbst - genießen diesen Anblick.

Bella Italia!

Aber ich kann nicht den ganzen Tag herumsitzen und knackigen, braunen Ärschen nachschauen - obgleich ich mir das für meinen Lebensabend, ganz genauso wie die Herren es hier tun, schon durchaus vorstellen kann.

Ich sattle meine Rennmaschine, fülle vorher die Trinkreserven auf und, Goethe hat es versprochen, mache mich auf der SS 7 weiter daran, mein Etappenziel Gaeta zu erreichen.

Die Straße führt wie beschrieben zunächst in Meereshöhe direkt am Wasser entlang. Ich umrunde die karg bewachsenen Felsen, rieche den salzigen Meeresduft, den ich genüsslich durch die Nüstern ziehe - der Güllegeschmack des Hauptkanals, den ich so lange hatte ertragen müssen, soll aus der kleinsten Pore entfernt werden.

Ich komme gut voran, obschon eine steife Brise vom Meere her mich zwingt, den Lenker meines R3 Rennrades nun wieder fester in den Händen zu halten. Nach der eintönigen Tortur ist mir das aber eine Freude.

Eine Freude ist es mir auch, als es endlich wieder Höhenmeter zu sammeln gilt. Das klingt komisch, aber es ist so - steil geht es mitunter an den filigran in die Felsen gefrästen Hängen hinauf, umso rasanter geht es dann wieder hinab. Ich schwitze, atme wieder schneller und fühle, wie mein Puls das heiße Blut durch die Adern pumpt - Power für die nächsten Anstiege.

Ich fliege hier fast die Straßen entlang und je höher ich steige desto fantastischer, ja, desto atemberaubender werden die Aussichten, die ich genießen kann. Schon liegt Terracina weit hinter mir im Dunst der Brandung.

Es geht durch kurze, aber heftige Tunnels. Oftmals von gleißendem Sonnenlicht hinein in komplette Dunkelheit - nur kurz, keine 500 Meter - aber lang genug, dass meine Augen nicht adaptieren können. Blindflug bei 50 km/h Abfahrt.

Meist erfasst mich nach dem Tunnel ein eisiger Wind, der die Hänge von Seeseiten her hinaufgedroschen kommt, verfängt sich in den dicken Carbon-Speichen meiner R-Sys-Laufräder und zerrt am Kurs meines Rennrades - aufpassen!

Ein mal zieht es mir bei knapp 50 Sachen die Sonnenbrille von der Nase. Vollbremsung. Umkehren. Ich bin auf das Schlimmste gefasst - die Brille aber ist wie durch ein Wunder unversehrt.

Irgendwann, keine 20 Kilometer hinter Terracina, lassen auch die atemberaubenden Felspassagen mit der Küstenstraße nach. Ich begebe mich wieder auf Bodenniveau und - diesmal leicht angeschoben von schräg hinten - presst mich der Wind an einem wunderbaren Sandstrand entlang.

Die Leute baden hier - wahrscheinlich, weil es hier keinen Eintritt kostet und keine Hotelliege den eigenen Spaß verdirbt. Eine heftige Brandung schäumt an den weißen Strand. Fast neidisch blicke ich nach rechts.

Soll ich kurz anhalten, mich erfrischen?

Nein, entscheide ich - das Ziel ist so nahe und wenn mein Körper jetzt auf "Urlaub" schaltet, wer weiß, ob ich ihn dann später noch motivieren kann, die letzten Kilometer zu meistern?
So muss ich diesen Traumstrand im wahrsten Sinne des Wortes rechts liegen lassen und trete verbissen weiter.

Ich überquere einen letzten Berg - den Hausberg von Gaeta - und fahre auf seiner Kuppe eine lang gezogene Linkskurve entlang. Da ist es, das Ziel: Gaeta, Etappe abgeschlossen!

Goethe erreichte damals auch diese Stadt - wohlan aber kein Ort, an dem er verweilte - und doch widmet er Gaeta einen kleinen Absatz in seinem Buch:

Mola di Gaeta begrüßte uns abermals mit den reichsten Pomeranzbäumen. Wir blieben einige Stunden. Die Bucht vor dem Städtchen gewährt eine der schönsten Aussichten, das Meer spült bis heran. Folgt das Auge dem rechten Ufer und erreicht es zuletzt das Hornende des halben Mondes, so sieht man auf einem Felsen die Festung Gaeta in mäßiger Ferne. Das linke Horn erstreckt sich viel weiter; erst sieht man eine Reihe Gebirge, dann den Vesuv, dann die Inseln. Ischia liegt fast auf der Mitte gegenüber.

Naja, denke ich mir, als ich vom Balkon meines Hotelzimmers schaue: Weder die Festung Gaeta, noch der halbe Mond, keine Insel Ischia und schon gar kein Vesuv.

Aber den Vesuv, das weiß ich, den erblicke ich morgen. Morgen schon in Neapel. Napoli. Wahnsinn, oder? Gestern noch am Collosseum spaziert, morgen schon in Neapel. Fantastisch!

Ich dusche mir den Staub des Tages ab, dufte wieder nach Dove Mencare und nicht nach Gülle des Via Appia-Hauptkanals, nicht nach Abgas und Asphaltstaub.

Ich mache mich - hungrig - auf die Suche nach Pasta. Und finde ein nettes Lokal, in dem - natürlich - die WM auf riesigen LCD-Bildschirmen übertragen wird. Hier lasse ich mich nieder, verdrücke zwei Portionen exzellente Maccheroni und trinke das wohl verdiente Azzuro.

Im Himmel!

Nach dem Essen lehne ich mich zurück, lasse meine frisch geduschten und blitzeblank rasierten Rennradlerbeine in der Sonne schmoren und schaue genüsslich in die Marina, wo kleine Boote neben großen Luxuyachten festgemacht haben.

Ein toller Hafen - geschützt von drei Seiten von mächtigen Bergen, ja, ich kann verstehen, weshalb sie hier gesiedelt haben.

Abends im Hotel freue ich mich über einen angemessen preiswerten Zimmerpreis von nur 60 Euro und deshalb gehe ich noch einmal in das Ristaurante, das sich unten im Keller befindet. Noch bin ich der einzige Gast, später kommt noch eine laute Familie mit so einigen Bambini hinzu.

Ich bestelle einen großen Salat mit Tonno, eine fette Pizza mit viel Käse und einen Krug Rotwein. Es schmeckt herrlich - und umso herrlicher, als draußen ein Unwetter allererster Güte losbricht. Völlig durchnässte Gäste strömen herein, die Bude wird voller.

Irgendwann kann ich vor lauter Regenkrach und dem Donnergrollen eines Gewitters, das offensichtlich genau über Gaeta steht, nichts mehr hören - auch, als der Wetteransager (in Italien ein schnieker Luftwaffen-Oberst in Uniform) den Trend der nächsten 5 Tage ins Restaurant bellt - wohl aber kann ich sehen, was da auf mich zukommt.

Regen. Unwetter. Gewitter.
Draußen wird es stockduster - die Welt geht unter!

Die nächsten 7 Tage! Der ganze italienische Stiefel wird zum Regenunwettergewittergebiet erklärt und auf einmal sehe ich ganz genauso bedröppelt aus, wie die Leute, die von draußen herein kommen.

7 Tage Unwetter! 7 Tage Unwetter in ganz Italien. Ganz Italien?
Nein. Auf Sizilien sah es perfekt aus ...

Als ich einige Minuten später leicht angeheitert vom Vino Rosso ins Bett sinke, den Fernseher ausmache und versuche, das brutale Donnern und nasse Pladdern draußen zu ignorieren, reift ein Plan in mir ...

Etappe 6 - Rom-Gaeta

Etappenlänge: 142,8 km
Fahrtzeit brutto: 6 h 30
Fahrtzeit netto: 4 h 47 min
Schnitt:
28,7 km/h



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