Endlich aufstehen, denke ich mir, endlich frühstücken und endlich losfahren! Nicht, dass Ravenna in irgend einer Weise abstoßend wäre, nicht, dass ich hier nicht noch einen Tag oder auch zwei hätte verbringen können - aber die gestrige erste Etappe, mochte sie auch noch so hart gewesen sein, hat wieder mein Radlerfeuer im Hintern entfacht: Nun will ich los, nun will ich raus!
Darum klingelt mein Handy auch 6:45 Uhr.
Darum bin ich auch wieder der Erste und Einzige beim Frühstück.
Und darum sitze ich auch schon 7:30 Uhr im Sattel, verabschiede mich vom Hotel Argentario und sage Lebewohl Ravenna.
Mal wieder: Abenteuer auf der Autobahn
Mein Vorbild Goethe hatte eine andere Strecke gewählt als ich, denn ich werde noch eine Weile der E55, die direkt an der Adriaküste entlang führt, folgen. Er hingegen bog in Ravenna ins Landesinnere ab und ließ sich über Ferrara und Bologna gen Rom bringen. Die Berge aber, so denke ich es mir, sollen mir erst die morgige Etappe versüßen. Für heute will ich noch einmal das Meer sehen.
Als Erstes jedoch muss ich die Straße finden, die mich zu meinem Etappenziel Senigallia - kurz vor der Hafenstadt Ancona - bringen soll. "Immer geradeaus", gestikuliert der Portier vom Bici, was ich auch befolge, bis ich an einer riesigen Kreuzung gehe.
Auf dem Schild steht, dass alle, die nach Ravenna wollen, nun links abbiegen müssten. So auch ich. Die Nummer der Straße stimmt auch: E55. Nur das große Schild, an dem ich verharre, weckt mein Misstrauen.
Das allgemein bekannte Autobahnsymbol prangt da in 2 Metern Höhe über mir. Dazu jede Menge Verbotszeichen: LKW über einer bestimmten Tonnengrenze, Motorräder unter einer bestimmten Kubikgrenze, Fußgänger und - genau - Radfahrer sind hier also verboten.
Komisch, denke ich, stelle mein Rennrad an das Schild und schaue auf meine Karte, denn dort ist diese Straße nicht als Autobahn eingezeichnet.
Ich gehe zu den Autos, die gerade Rot haben und frage durchs offene Fenster.
"Ah, gehhhh," macht der Fahrer übersetzt und gestikuliert: "Fahr man, fahr man, kein Problem!"
Okay, denke ich mir. Der Herr mit der Sonnenbrille im Fiat Punto hat´s erlaubt.
Wenig später fahre ich zunächst noch bedächtig weitest möglich rechts, erpicht darauf, ja keinen Autofahrer im Wege zu sein. Doch schon nach wenigen Kilometern, als ich merke, dass hier niemand hupt und es tatsächlich keinen zu inzteressieren scheint, dass hier ein Fahrrad auf der Autobahn ist, fange ich an mich zu entspannen, ich kann erstmals meinen verkrampften Blick vom Asphaltband und der weißen Linie, die ich versuche, links von mir zu halten, lösen, und die Landschaft genießen.
Ich gleite wie gestern durch eine flache Ebene. Keine Erhebung, kein Hügelchen, nichts trübt den weiten Blick über die fruchtbaren Felder. Mal wechselt sich Korn mit Salat und Tomatenpflanzen ab, selten eine Weide.
Da, am Horizont, da kann ich schon schemenhaft die ersten Spitzen der Berge. Nee, Jungs, morgen erst, beruhige ich auch meine Beine, die dem ersten Etappenziel - Cesenatico - entgegen stampfen.
Ich komme erstaunlich gut voran. Der Wind kommt wieder vom Meere her, aber schräg von hinten, sodass ich zumindest keinen Gegenwind verspüre. Auch halten sich die Temperaturen so früh am Morgen noch in Grenzen - ich trete zwar hart rein, aber ich mache mich auch nicht fertig.
Mein Forerunner am Handgelenk sagt, dass ich immer so um die 32 km/h drauf habe, das ist mehr, als bei manch rasanter Liegeradfahrt früher und mir schnell genug.
Die Straße ist super. Selbst auf dem wenig befahreren Standstreifen liegen kaum Steinchen, kaum muss ich einmal ausweichen, auch fällt mir wenig Müll auf. Die Autos donnern zwar wie eh und je an mir vorbei, scheinen aber Abstand zu halten und obwohl mir die Geschwindigkeiten wirklich Autobahn-like vorkommen, habe ich nie das Gefühl, hier besonders gefährdet zu sein.
Und als mich dann zur Krönung auch noch ein tief dunkelbauer Alfa Romeo der Carabinieri überholt - und mich nicht zu Kenntnis nimmt - beschließe ich, jedes Ungemach ob der "Fahrrad verboten"-Schilder, die hinter jeder Auffahrt stehen, an der ich vorbei komme, endgültig zu ignorieren.
Naja, immerhin hat das Autobahnfahren bei mir auch Tradition: Auf meiner ersten großen Radtour gerate ich in Porta Westfalica auf die deutsche, in Canada fahre ich sowieso nur auf ihr und in Japan muss ich rasante 20 Kilometer auf der Schnellstraße abspulen. Wieso nun nicht auch in Italien?
Und ehe ich es mich versehe sind knapp 40 Kilometer geschafft, genau hinter der Durchfahrt Cesenatico lockt eine Bar mit viel Schilf und Reet und karibischem Ambiente mich an, hier meine erste reguläre Trinkpause abzuhalten.
Schöne Pause italienische Art
Ich setze mich und trinke zwei Lipton-Icetea auf Ex, dann fülle ich meine Trinkflaschen mit frischem kalten Wasser und auf und verdünne alles mit sehr leckerem Apfelsaft.
Für meine Etappen halte ich das so: Ich fahre und halte alle 30 Kilometer an, um etwa 15 bis 20 Minuten auszuspannen, meinen Nacken zu entlasten, etwas zu essen und zu trinken. Das, so weiß ich aus Erfahrung, hilft mir, diese kurzen Pausen zur Regeneration zu nutzen und im Endeffekt eine so lange Tour durchzustehen.
Zudem hat es einen psychologischen Aspekt: Denn so fahre ich nicht mit dem Gedanken an die Gesamtlänge im Kopf: "Oh Backe, es liegen heute 130 km vor mir!", sondern ich fahre immer mit "Noch 30 km zur Pause."
Und das macht es doch schon viel erträglicher, oder?
Zudem: Nach nur einem Kilometer bin ich schon wieder in den Zwanzigern. Und so hangle ich mich von Pause zu Pause: Aus 130 Kilometern werden 4 Teilstücke.
Und bei Cesenatico sitze ich kurz vor 9 Uhr und habe die erste schon hinter mir.
"Wie motivierend", denke ich, als sich die hübsche Kassierein auf eine Zigarette neben mich auf einen der schlanken Hocker drapiert, dazu eine Coke light öffnet und ein Telefonat beginnt. So lässt sich die Pause gut verbringen - dem Sexytalk einer schnuckeligen Blondine zuhören und dabei die heißen Lungenflügel mit eiskaltem Getränk kühlen.
Perfekt.
Eine SMS meiner Süßen reißt mich von einem Wunschtraum in den nächsten. Und so gehen die 15 Minuten auch schnell vorbei - glücklich und motiviert, aber merkend, dass die Sonne sich langsam anschickt, zur Höchstform aufzulaufen, schiebe ich mein Rennrad auf die Straße, setze auf und klinke mich ein. Ab gehts, Stich zwei steht auf dem Programm.
Ich finde schnell wieder in einen runden Tritt und fliege nur so die SS16 entlang. Links neben mir wähne ich die Küste, rechts neben mir - weit, weit enfernt - grüßen grau die Berge.
Mich wundert das Fahrverhalten der Italiener: So viele schlaue Leute haben mir vor meinem Trip wieder einmal so viele Schleue Tipps gegeben - und was ist? Alles nicht mal halbsowild. Die Italiener fahren auch nicht anders als die Deutschen. Nein, besser, würde ich sagen, denn hier auf dem Stiefe wurde ich noch nicht ein einziges Mal angepöbelt, geschnitten oder - sehr beliebt - mit Scheibenreinigungswasser angesprüht.
Die Jungs überholen vorsichtig, fahren nicht zu schnell. Was will man mehr?
Die Sonne knallt nur so herunter und so ist es denn auch kein Wunder, dass ich - warum auch immer - irgendwann beschließe, die Superstrada zu verlassen um an der Küsten entlang zu fahren. Da muss es doch einen Strandweg geben!, rede ich mir ein.
In der prallen Sonne verlasse ich meine SS16 und und fahre einen fünfzehn Kilometer langen ... Umweg. Es gibt natürlich keine Küstenstraße. Mit heftigem Gegenwind muss ich mich wieder zurück auf die Superstrada kämpfen - und vergeude 45 Minuten in praller Hitze, weil mein Gehirn mal wieder einen Aussetzen hatte.
Fehlt jetzt nur noch ... ähm ... sagen wir ... ein Berg.
Na bitte!
Ich erreiche Cattolica. Der Ort klingt nicht nur sehr gläubig, er ist es auch. Der Badeort verdankt seinen Namen einem katholischen Konzil vor 1.700 Jahren. Na, wenn das keine Geschichte ist? Sogar der Bruder von Napoleon weilte hier - er zog Cattloica dem damals schon überfüllten Rimini vor.
Wohl dem, der die Berge liebt
Aber zum Berg. Denn heftiger Seitenwind, der kurz vor der Ortsdurchfahrt von hinten kommt, treibt mich an, macht mich froh, lässt mich optimistisch in das Blicken, was da gleich kommt. Mit knapp 40 km/h Dauerspeed - ich schaue schon ger nicht mehr nach vorn - rase ich in eine Wand aus Hügeln.
Denn zwischen Cattolica und Pesaro, dem letzten Ort vor Rimini, hat der liebe Herrgott einen kleinen Hügelzug geschaufelt. Und genau da hinüber muss ich nun.
Es ist um 12 Uhr, die Sonne steht genau über mir. Sie brennt unerbittlich auf mich herab, Schweiß läuft in Strömen und ich ergänze vorsichtshalber meinen Wasservorrat noch einmal, bevor ich mich in die Steigung wage.
Zunächst geht es moderat los. Ich muss durch einen Ort, der überraschenderweise schon ziemlich weit oben liegt. Ich wechsle auf das kleine Blatt, lasse mir Zeit, trete und trete und merke, dass ich trotz der merklichen Steigung immer noch 25 km/h drauf habe. Mit dem Liegerad wäre ich hier schon merklich langsamer.
Hinter dem Ort geht es dann los. Vor mir ein Berg. Und die Straße ein Band das sich schnurgerade auf ihn zubewegt - und dabei immer steiler ansteigt. Meine Füße gehen schwer, icch keuche, Tropfen an der Nase hängen herab und ich atme mein Wasser nur so weg.
Aus den 25 km/h werden 20. Dann 15.
Aber nie langsamer.
Selbst im kleinsten Gang und unter größter Anstrengung kann ich die 15 halten.
Schatten gibt es hier keinen. Und wenn, dann nur kurz. Ein Zucken aus Kühle. Ich genieße die Fahrt aber. Nachdem bisher eher Gelbtöne dominiert haben, kann ich hier endlich mal wieder in sattes Grün blicken, sehe Bäume, sehe saftiges Gras. Schön.
Links von der Straße kann ich ins Land sehen - weit reicht der Blick. Wie weit muss ich jetzt wohl über Null sein?
Der Wind, der eben noch bremsend und nervig von der Seite kam, er kommt nun von hinten. Er erleichtert mir zwar das Treten nicht, kühlt auch kaum, aber so ists mir dann doch lieber. Getunnelt von den Bergen faucht er in wenigen Sekunden zum Kamm, den ich schon erkennen kann.
Und obwohl ich mich hier abmühen muss, obwohl meine Beine brennen, meine Handschuhe so nass sind, dass sie gar nicht mehr sicher den Lenker greifen können, obwohl meine Füße in den Sidis regelrecht im Wassser stehen und ich selbiges schon fast wieder leer getrunken habe, obwohl mein Herz nahe der 200 ist, meine Speiseröhre trocken wie die Gobi und mein Kopf leer wie das All ist - trotzdem genieße ich dieses Stückchen Einsamkeit, diese Welle zwischen Cattolica und Rimini, die so einsam ist, so leer und so ruhig. Nicht einmal das Surren meiner Schaltung vernehme ich - gleiten durch das Nichts.
Erholung im Schmerz.
Irgendwann aber hat sich die Arbeit gelohnt. Jede Steigung findet einmal ihr Ende, das weiß icch nur zu gut, und so erfüllt es mein Herz mit einem Salto, als ich auf dem Kamm des Berges eine Tanke entdecke, die sogar eine "Bar" hat. Ich biege ab, klinke mich aus und komme mir wie Pantani vor, der gerade den Mont Ventoux bezwungen hat, als ich mit eierigem Schritt und schweißnassem Rücken in den klimatisierten Kaubuff klacke, mir drei Flaschen eiskalten Eistees kaufe und mich vor das Fenster hocke und mein Werk bestaune.
Mein Rad steht da, lässig an eine Zapfsäule gelehnt. Ihm sieht man nicht an, was wir hier auf den letzten 7, 8 Kilometern vollbracht haben. Es steht da, wie immer: Jederzeit bereit, dass ich auf ihm die Straßße rocke. Und dabei ist es meinem treuen Cervélo egal, ob ich es mit kranzenden Knochen eine Steigung hinauf prügele oder mich vor dem Wind beducke, weil ich selbige auf der anderen Seite so schnell wie möglich wieder hinab möchte.
Was ich denn nach 5 Minuten auch tue. Ich hänge über dem Lenker, mache den Katzenbuckel, kralle meine schwammnassen Handschuhe in das Lenkerband, winkle meine Beine an und sause im Freilauf nach unten. Wind bremst, weshalb ich nicht über die 60 km/h hinaus komme, aber Spaß machen die paar Kilometer trotzdem.
Party und Plastikland in Rimini
Komisch, denke ich mir, als ich das Stadttor von Rimini erreiche: Da müht man sich bergauf eine halbe Stunde ab - und reitet die selbe Strecke auf der anderen Seite in atemlosen fünf Minuten runter.
Ein schönes Gleichnis auf das Leben, oder?
Als ich durch das Stadttor komme und gleich mal durch die Fußgängerzone fahre - langsam, langsam - kommt mir die Stadt so gar nicht vor wie das, was ich von ihr bisher gehört habe. Italien überrascht schon wieder: Eine saubere, belebte, schicke Einkauufsstraße mit Gelati-Läden und allerlei Geschäften lockt Touristen und Einheimische gleichermaßen. Nichts zu sehen von Party, Disco und Saufen.
Das kommt aber noch.
Irgendwann bin ich durch den historischen Stadtkern hindurch und fahre als Geisterfahrer auf der Küstenstraße direkt am Strand. In Italien interessiert es natürlich niemanden, wenn ein Rennrad in einer Einbahnstraße gegen die Richtung fährt, selbst die Carabinieri schauen dezent weg, wenn sie mir entgegen kommen.
Dafür geht die Partymeile los. Links neben mir - zur Seeseite hin - findet sich ein Beachclub nach dem nächsten. Die Badeanstalten dröhnen mit Discomucke, Menschen braten unter Schirmen in der Hitze, übergroße Spielplätze aus Plastik sollen die Kleinen ruhig stellen.
Der Overkill wird abgerundet von allerlei Diskotheken und Hotels auf der rechten Seite. Mittlerweile ist die komfortable Straße zu einem Weg verkommen. Immer wieder muss ich den Badegästen ausweichen.
Irgendwann erreiche ich einen großen Kreisverkehr. In der Mitte die Erdkugel - die selbe Plastik, die auch in New York vor den Vereinten Nationen steht. Mir aber ist es zu heiß, um diese zu fotografieren.
Ich lehne mein Rennrad an die Reeling und setze mich auf eine Bank. Die letzten Schlucken heißen Apfelschorl-Tees lasse ich meine trockenen Kehlen hinabgleiten, halte Ausschau nach einem Kiosk und entscheide mich dafür, dann doch erst einmal die unendlich erfrischend aussehende Bläue des Meeres zu genießen.
So viel Zeit muss sein!
Wenig später trete ich wieder rund. Es geht weiter auf der SS16, in gewohntem Takt, in gewohntem Speed mit gewohntem Leid.
Der Rucksack macht mich langsam Probleme mit den Schultern.
Auch meldet sich mein Hintern wieder und überhaupt, die Handgelenke schmerzen. Aber das kann mich alles nicht aus dem Tritt bringen, ich starre starr auf den Asphalt, der unter mir hindurchfliegt, und denke mir, solange ich so schnell über ihm hinwegsause, kann das alles ja auch noch nicht so schlimm sein.
Dann, unveermittelt, reite ich in Fano ein, der letzten großen Stadt vor meinem Ziel Senigallia.
Es begrüßt mich eine fast menschenleere Szene. Klar, es ist Mittag, die Sonne steht hoch oben, brutzelt danieder und trocknet unerbittlich alles feuchte aus. Außer denen, die es müssen, und denen, die glauben, dass sie müssten, wagt jetzt keiner einen Schritt vor die Tür.
Glück für mich, denn so kann ich das malerische Städtchen fast vollkommen unbehelligt vom sonst so chaotischen italienischen Stadtverkehr durchqueren, genieße kurz die Schatten spendenden Aleen, ehe ich mich wieder auf der schnurgeraden Superstrada wiederfinde, die mich die letzten 30 Kilometer zum Etappenziel für heute bringen wird.
Und genauso kommt es dann auch. Ich kann bequem auf dem überbreiten Seitenstreifen rollen, der für die Tausende Badegäste zum Parken direkt in den Felsen gefräst wurde, der steil neben mir einige Dutzend Meter aufragt.
Der Wind kommt nun von hinten und so erreiche ich problemlos in Untenlenkerhaltung 35 km/h, die ich durchhalten kann. So schieße ich stoisch den glatten Asphalt entlang, ein ums andere Mal von Piaggios und Fiats überholt. Menschen treffe ich freilich keine - die Hitze ist unerträglich.
Langsam reicht die Hitze aber wirklich!
Mein Rucksack hat zwar eine - AirStripes genannte - Belüftung, aber selbst dieses Hightech versagt bei den Schweißmengen, die mein Rücken absondert. Ich frage mich, ob ich eine Wasserspur hinter mir herziehe.
Und wieder packt mich der Jagdtrieb, als ich mühselig zu zwei Rennradlern aufschließe, kurz deren Windschatten lutsche, um dann mit genug Geschwindigkeitsüberschuss vorbei zu gehen. Sie grüßen nicht einmal.
Naja, überholt werde ich auch nicht gern ...
Ich mache eine letzte Pause in der Bar eines Zeltplatzes direkt am Meer, wo ich einen ganzen Liter Eistee vor den großen süßen Augen der kleinen Tochter der Kioskbesitzerin leer trinke, dann schwinge ich mich aufs Rad und nehme die finalen 5 Kilometer in Angriff.
Senigallia erreiche ich um 13:30 Uhr.
Es ist die Albergo Bice, in der ich mir ein Zimmer reserviert habe.
Von außen macht das Haus wenig her. Schmucklos, verrammelt. Nichts besonderes.
Auch, als ich eintrete, finde ich mich zunächst in einem mehr als beengten Eingangsbereich wieder.
Schweißüberströmt stehe ich da. Alles klappt, ich gebe meinen Ausweis ab, bekomme sofort meinen Schlüssel, das Bici? - darf mit aufs Zimmer, Ehrensache!
Und als ich oben bin - welch´ Wonne! - stehe ich in einem großen, großen Raum, habe ein großes, großes Bad mit der besten Dusche, die ich jemals genossen habe! Oh, wie zischt es, als kaltes Wasser mir das Salz-Sonnenmilch-Schweiß-Fliegen-Dieselstaub-Gemisch von der Haut spült!
Wenn ich aus dem Fenster schaue, blicke ich auf bestimmt 200 Jahre alte Dachziegel, höre ich fernes Glockengeläut, schnuppere ich leckerste Zutaten aus der Restaurantküche unter mir ... und so entspanne ich kühlende 20 Minuten unter dem Wasser, dass ich mir vorkomme, wie im Paradies zu sein.
Was für eine Hitzeschlacht!, denke ich mir, als ich mich abtrocknen will, aber merke, dass ich das gar nicht muss, so schnell verdampft das Wasser selbst hier im kühlen Bad.
Klamotten waschen.
Rad putzen.
Kurz SMS schreiben.
Und nun habe ich Hunger!
Am Strand ist es zwar lecker - äußerst lecker - aber ich finde nichts, was offen hätte. Kein Restaurant, nicht einmal ein Imbiss, kann mir leckere Speisen anbieten.
So irre ich ein, zwei Stunden an der endlosen Adria umher, bekomme immer mehr Hunger, werde aber auch mit einem Bikini-Overkill vom Feinsten entschädigt: Alle zehn Meter läuft hier eine Ornella Muti vorbei. Nice ...
Nun ja, satt wird man davon aber auch nicht.
Auch in der Innenstadt sieht es nicht anders aus. Zwar haben die Geschäfte offen, aber von Ferragamo und Louis Vuitton werde ich nicht satt.
So suche ich mir einen Supermarkt, in dem ich mich mit Salat, Parma-Schinken und einem leckeren Olivenbrot ausstatte und trotte durch die heißen, engen Gassen dieser malerischen Stadt zurück zum Hotel.
Unterwegs holt mich die Politik ein. Ein Atomkraftwerk ist das letzte, was man hier vermuten würde, und doch - die ganze Stadt hängt voller Plakate. Richtig so - lehnt Euch auf! Lasst Euch nicht so verarschen, wie sie es mit uns gemacht haben! Forza!
Mit meiner Fresstüte in der Hand irre ich etwas verwirrt durch die Straßen, bis ich zum mächtigen Kastell von Senigallia komme.
Dort machen es mir ein paar Mädchen vor, die es sich im kühlenden Burggraben auf der Wiese im Schatten gemütlich gemacht haben - und ich mache es ihnen nach. Unten in befreiender Kälte sitzend, kann ich meinen Salat essen, das Brot killen und einen Eistee trinken.
Ein Tropfen auf den heißen Stein freilich, aber wenigstens etwas.
Ich schwöre mir, dafür heute Abend im Ristorante so richtig zuzuschlagen.
So sitze ich im Schatten und kaum habe ich aufgegessen und beginne, wieder Karten an die Lieben daheim zu schreiben, klingelt mein Handy und meine Süße ist dran. Wir reden eine Weile - immerhin fliegt sie morgen zu ihrem Urlaub nach China ab.
Schon komisch, denke ich mir etwas traurig, wie schnell sich das Leben doch verändern kann: Vor einem Jahr noch gurke ich allein und frei und ungebunden durch Kanada und Japan und jetzt sitze ich verliebt mit blutendem Herzen in Italien und weiß gar nicht so recht, wie ich meine Tour genießen kann. Oder soll. Oder darf.
Hier sein und Radfahren ist ein Traum.
Bei ihr sein aber ein noch Schönerer.
Es wird 17 Uhr und ich sage der Zitadelle bye bye, verabschiede mich noch einmal von dem tollen Strand und lenke meinen hungrigen, von Liebeskummer und Sehnsucht erfüllten, geschundenen Körper zurück ins Hotel.
Schnell jedoch - welch´ Überraschung - sind die negativen Gefühle von einem exzellenten Rotwein, einem großartigen Salat und fast schon als göttlich zu bezeichnende Spaghetti ale Vongole verdrängt - ich labe mich an einem Abendessen, das ich in dieser Qualität schon lange nicht mehr hatte.
Im Flatscreen des gut gefüllten Restaurants läuft ein WM-Spiel mit Italien, die Herren kommentieren, lamentieren und streiten sich. Mir steigt der Wein langsam in den Kopf und so bestelle ich mir noch eine Bistecca und hoffe, dass die Kräfte des Bullen, aus dessen Schenkel dieses herrliche Stückchen Fleisch geschnitten wurde, auf mich übergehen mögen.
Denn immerhin werde ich mein Rennrad morgen weg von der Küste und rein in die Berge lenken. Foligne steht auf dem Plan - und wenn ich mir die Karte so besehe, sollte ich mir lieber noch eine Bistecca bestellen.
So wanke ich nach oben, Sehnsucht lässt mich noch eine SMS schreiben, unten toben die Landsmänner während ich mich oben in seichtem Luftzug der leckeren Abendluft in den Schlaf träume.
Morgen Berge.
Berge.
Ber ...
Etappe 2 - Ravenna-Senigallia
Etappenlänge: 130,7 km
Fahrtzeit brutto: 6 h
Fahrtzeit netto: 4 h 26 min
Schnitt: 28,9 km/h
.
i den Strand genießen es. es ist immer ein Vergnügen, diese Orte zu besuchen
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